: „Anzeichen für Zusammenschluß der Entwicklungsländer“
■ Martin Khor ist Stellvertretender Direktor von Friends of the Earth und Leiter des Regenwaldprojektes in Malaysia
INTERVIEW
taz: Sie behaupten, daß vor allem die amerikanischen Pläne in der „Uruguay-Runde“ für die Länder der Dritten Welt das endgültige Ende ihrer Souveränität bringen würde.
Martin Khor: Die Industrieländer und besonders die USA wollen in der „Uruguay-Runde“ das Gatt-Abkommen, das bisher nur für Handelsgüter galt, auch auf die Bereiche der Dienstleistungen, der Investitionen und des geistigen Urheberrechts ausweiten. Um den internationalen Kapitalfluß zu gewährleisten, soll auch für ausländische Unternehmen die völlige Investitionsfreiheit hergestellt werden. Bisher wurde den Enwicklungsländern das Privileg zugestanden, noch junge Industriezweige bis zur Erlangung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit durch protektionistische Maßnahmen zu schützen.
Solche Gesetze zur Förderung eines lokalen Bankensystems oder zum Aufbau sogenannter „lokaler Kapazitäten“ in bestimmten Industriesektoren werden nach den jetzt in Genf diskutierten Plänen nicht mehr möglich sein. Damit würden die Fortschritte, die einige Entwicklungsländer in den letzten Jahren nach der Periode des Kolonialismus in bezug auf ihre lokale Volkswirtschaft unter dem Schutze des Staates zu verzeichnen hatten, wieder zunichte gemacht werden.
Gibt es denn Anzeichen dafür, daß die so betroffenen Länder diese Gatt-Reform durch einen vereinten Widerstand bei den Verhandlungen noch verhindern können?
Die Industrieländer sind in dieser Uruguay-Runde ausgesprochen gut organisiert, wobei die EG und die OECD ihre Verhandlungsstrategien koordinieren. Der Dritten Welt mangelt es dagegen an dieser Infrastruktur und Kooperation, die „Organisation der Blockfreien Länder“ hat nicht eimmal ein ständiges Wirtschaftssekretariat. Aufgrund des für sie katastrophalen Verhandlungsverlaufs haben sich die Entwicklungsländer in den letzten Monaten jedoch zusammengetan, um ihre Unzufriedenheit und Wut über die Marginalisierung der für sie bedeutsamen Themen in den Verhandlungen auszudrücken.
Welche Themen sind das?
Die Reduktion der Exportzölle und vor allem der Mechanismen zum Schutz der einheimischen Textilindustrien. Hieran haben die Industrieländer weitaus weniger Interesse gezeigt als bei den Fragen der Miteinbeziehung von Dienstleistungen und Investitionen in das Gatt-Abkommen.
Bei einer so geheimen wie komplexen Verhandlungsrunde und dem von Ihnen beschriebenen Ungleichgewicht, ist da eine politische Kampagne, wie Sie und das „Third World Network“ sie gegenwärtig führen, nicht ungeheuer schwierig? Und welche Möglichkeiten haben denn Länder wie Brasilien und Indien, in dieser Gatt-Runde, Druck auf die Industrieländer auszuüben?
Hier Druck auszuüben ist schon deswegen schwierig, weil es vor allem die USA verstanden haben, mit Sanktionen im bilateralen Handel zu drohen; mit der Aberkennung spezieller Handelsprivilegien oder der Erhebung von Zöllen auf bestimmte Importe aus dem jeweiligen Land. Sowohl Indien als auch Brasilien, die beiden kritischsten Länder bei den Gatt -Verhandlungen, sind von der US-Administration auf die Liste der Länder mit angeblich unfairen Handelspraktiken gegenüber den USA gesetzt worden.
Also keine Chance mehr für die Dritte Welt?
Doch, es gibt Anzeichen dafür, daß sich die Entwicklungsländer zusammentun und die Verhandlungsergebnisse in diesen Bereichen einfach nicht unterzeichnen werden, solange nicht bestimmte Handelsprivilegien für die Dritte-Welt-Länder mitaufgenommen werden. Sonst würden wir das Recht auf die Entwicklung unserer eigenen Volkswirtschaften aufgeben. Und dies wäre nicht nur eine Tragödie für die nächste, sondern für die nächsten drei oder vier Dekaden.
Die Ereignisse in Osteuropa werden allgemein als Sieg des Liberalisierungsgedankens gefeiert. Wird dieser vermeintliche ideologische Triumph nicht die Position der Dritten Welt bei den Gatt-Verhandlungen weiter schwächen?
Die wirtschaftliche Liberalisierung Osteuropas birgt vor allem die intellektuelle Gefahr in sich, daß nun die totale Liberalisierung per se als etwas Gutes angesehen wird.
Richtig dagegen wäre es zu fragen: Unter welchen Bedingungen hat der Freihandel positive oder negative Auswirkungen auf die Wirtschaft und das Soziale in den jeweiligen Ländern. Der Freihandel ist eine gute Sache zwischen gleichgestellten Ländern. Aber zwischen ungleichen Ländern wird der totale Freihandel bei Gütern und Dienstleistungen notwendigerweise zu Lasten des weniger entwickelten Landes gehen. Osteuropa wird dies noch früh genug herausfinden.
Interview: Rolf Paasch
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