: Anwohner beharren auf NS-Straßennamen
■ Wilmersdorfer Anwohner wehren sich gegen Umbenennung von Straßen Bezirk will von den Nazis getilgte jüdische Namen wieder einsetzen
Berlin. Während in den letzten Monaten im Ostteil der Stadt zahlreiche Straßen ihren Namen gewechselt haben, kommt die Auswechslung von Straßennamen aus der NS-Zeit im Westteil nicht voran. Bei dem Versuch, von den Nazis getilgte jüdische Namen wieder in das Stadtbild zu holen, stößt das Bezirksamt Wilmersdorf zur Zeit auf den Widerstand von Anwohnern in den vornehmen Wohnvierteln Grunewald und Schmargendorf.
Drei von insgesamt zwölf Wilmersdorfer Straßen, die heute noch ihre Namen aus der NS-Zeit tragen, sollten endlich wieder umbenannt werden, so beschloß es die Bezirksverordnetenversammlung mit den Stimmen von SPD und AL im März 1991. Der nach einem Agrarwissenschaftler benannte Dünkelbergsteig sollte wieder den Namen des jüdischen Mediziners Julius Morgenroth tragen. Der Schellendorfstraße — nach dem preußischen General und Kriegsminister Paul Bronsart von Schellendorf — wollten die Bezirkspolitiker den alten Namen Friedenthalstraße zurückgeben. Auf alle Fälle ändern wollten SPD und AL außerdem den Namen der Seebergstraße. Der Theologe Reinhold Seeberg müsse mit Werken über Das sittliche Recht des Krieges eindeutig als »Kriegshetzer und Wegbereiter der Nationalsozialisten« eingestuft werden, sagt der Stadthistoriker und AL-Bezirksverordnete Jürgen Karwelat. Seeberg sollte deshalb dem Philosophen Walter Benjamin weichen, der sich 1940 aus Angst vor einer Auslieferung an die Deutschen das Leben genommen hatte.
Der Bezirk hätte die Straßenschilder vielleicht schon ausgewechselt, so der SPD-Bezirksverordnete Gerhard Duncker, hätten sich nicht die Anwohner »zu über 90 Prozent« gegen eine Änderung ihrer gewohnten Straßennamen gewehrt. Neben dem Argument, diese Namen gehörten zum gewohnten »Umfeld«, hätten einige der insgesamt 300 Anlieger auch »finanzielle Nachteile« ins Feld geführt, sagt Tiefbauamtsleiter Axel Kirchner.
Unterstützt wird der Anwohnerprotest von CDU und Republikanern. Aus Sicht des Wilmersdorfer CDU-Fraktionschefs Dietrich Maes handelt es sich bei den jetzigen Benennungen um »unproblematische Namen«. Die jüdischen Namen könnte man auch, so die Anregung des CDU-Manns, an anderer Stelle »im Stadtbild unterbringen«.
Etwa 100 Straßen in West-Berlin tragen nach Karwelats Erkenntnissen bis heute Namen, die ihnen im Nationalsozialismus verpaßt wurden. »Politisch belastet« sei etwa die Hälfte dieser Namen. So tragen die Einem-, die Kluck-, die Bissing- und die Mackensenstraße in Schöneberg bis heute Generalsnamen, die ihnen erst in der NS-Zeit verliehen wurden.
Ein vor Jahren von der Schöneberger BVV gefaßter Beschluß, die Mackensenstraße in Ossietzkystraße umzubenennen, wurde nie umgesetzt. Da der Senat im August 1991 die Umbenennung von Straßennamen aus der Zeit des NS-Regimes erleichterte, könnte sich Baustadtrat Uwe Saager (SPD) jetzt »vorstellen«, daß die Umbenennung von Einem- und Mackensenstraße »noch mal aufgegriffen wird« wird. hmt
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