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Archiv-Artikel

Anwalt ist der Lieblingsberuf – bei Eltern

CHANCENGLEICHEIT Viele Migranten-Kinder finden keine Berufsausbildung. Ein Grund dafür ist die fehlende Information der Eltern. Jetzt soll gezielte Elternarbeit den Übergang von der Schule in den Beruf verbessern

Interkulturelle Elternarbeit

Den Trägervereinen stehen für ihre interkulturelle Elternarbeit 1,71 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF), von der Behörde für Wirtschaft und Arbeit und der Behörde für Schule und Berufsbildung zur Verfügung. Wer sich näher über die Projekte informieren möchte, kann sich an folgende Ansprechpartner wenden:

■ KWB e. V./BQM Interkulturelle Elternarbeit, Alexei Medvedev ☎ 040 - 63 78 55 - 46

■ Basis & Woge e. V. Interkulturelle Elternarbeit am Übergang Schule – Beruf, Edith Kleine-Kathöfer ☎ 040 - 39 87 08 - 29 / 30

■ Verikom e. V. Eltern ins Boot – Interkulturelle Elternarbeit zum Übergang Schule – Beruf, Anne-Gaëlle Rocher, Ute Grütter ☎ 040 - 42 90 25 - 72 / 73 / 74■ Unternehmer ohne Grenzen e. V. Eltern aktiv, Mine Bagatar, Hasan Erkan ☎ 040 - 43 18 30 63

VON ANGELA DIETZ

Viele Kinder mit Migrationshintergrund scheitern in Hamburg beim Übergang von der Schule in den Beruf. Die Zahl derer, die nach der Schule in der Dualen Ausbildung landen, ist seit der Jahrtausendwende rückläufig. Von den Schulabgängern ohne deutschen Pass waren es 2007 gar nur rund sechs Prozent. Es gibt Maßnahmen, um die Lage zu verbessern, aber wenig im Blick sind dabei die Eltern. Gerade sie haben Einfluss auf die Berufswahl ihrer Kinder.

Doch die Migranten kennen häufig das Schulsystem und die Duale Ausbildung in Deutschland nicht. Und sie haben Erwartungen an die berufliche Karriere ihrer Kinder, die mit der Realität der Arbeitswelt kollidieren. „Es gibt Eltern, beispielsweise viele Russen und Türken, die glauben, man kann nur mit einem Studium einen guten Beruf bekommen“, berichtet Alexei Medvedev von der Beratungs- und Koordinierungsstelle zur beruflichen Qualifizierung von jungen MigrantInnen.

In der Folge kommen bestimmte Berufe von vornherein nicht infrage, etwa eine Laufbahn im Öffentlichen Dienst. „Die fielen im Personalamt der Stadt aus allen Wolken, als ich ihnen das erklärt habe“, erzählt Medvedev. Sein Kollege von Unternehmer ohne Grenzen, Hasan Erkan, ergänzt schmunzelnd: „Alle Kinder sollen Rechtsanwalt oder Arzt werden, dann können sie was für ihre Community tun.“

Die Anforderungen in der Türkei sind im Vergleich zu Deutschland gering: acht Jahre Schulpflicht und Learning-by-doing im Handwerk. Nur, wer eine eigene Werkstatt führen will, muss eine Prüfung ablegen. In Russland sind zwei Schulabschlüsse vorgesehen, nach neun und elf Jahren. Den zweiten braucht man fürs Studium, für das junge Leute außerdem eine Aufnahmeprüfung bestehen müssen. Und das Handwerk, laut Medvedev zurzeit in Russland „nicht gerade en vogue“, wird in einer Berufsschule erlernt.

Hierzulande gibt es dagegen 350 Ausbildungsberufe, ganz zu schweigen von den über 12.000 Studienfächern an den Hoch- und Fachhochschulen. Aber wer kennt all diese Berufsbilder? Fehlt außerdem der Kontakt zwischen Eltern und Schule, laufen gegenseitige Erwartungen und Ansprüche ins Leere. Viele Eltern glaubten, die Schule sei wie im Herkunftsland für alles zuständig, berichtet Erkan. Folglich wüssten sie gar nicht, dass sie sich um die Ausbildung ihrer Sprösslinge bemühen müssen. „Und die Schule setzt oft voraus, dass die Eltern sich engagieren“, erläutert Anne-Gaëlle Rocher vom Bildungsträger Verikom.

So bleiben die Jugendlichen auf der Strecke. Sie wissen nicht, welchen Beruf sie wählen könnten. Hinzu kommt, dass sie sich häufig ihrer Kompetenzen jenseits der Schulfächer nicht bewusst sind. Die spielen jedoch bei der Berufswahl eine Rolle.

Oberstes Gebot, um aus der Sackgasse zu kommen, sind also das knüpfen von Kontakten und die Aufklärung über Schule, Ausbildung und Berufswelt. Alle Träger, die sich dieser Aufgabe widmen, erhalten bis Ende 2009 insgesamt 1,71 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds, von Wirtschaftsbehörde und Schulbehörde. Sie informieren auf großen Veranstaltungen und beraten Eltern wie Schüler einzeln. „Die vielen Wege zur Berufsausbildung rufen Erstaunen hervor“, erzählt Edith Kleine-Kathöfer vom Verein Basiswoge. Kein Wunder, dass es häufig nicht bei einer Beratung bleibt. Mindestens genauso wichtig sind informelle Kontakte, die den Einzelberatungen oft vorausgehen. Die knüpfen die Berater vor allem bei Elterncafés in den Schulen. „Wir brauchen für den Vertrauensaufbau andere Strukturen als die offiziellen“, sagt Rocher. Die Sozialpädagogin kennt jede Menge Eltern aus den Migrantencommunities, die als Kind schlechte Erfahrungen mit der deutschen Schule machten. Gemeinsam mit Kollegin Ute Grütter berät sie Eltern im Müttercafé der Gesamtschule Kirchdorf. Viele der Eltern dort sind erwerbslos, es gibt wenig Akademiker. Bei Kaffee und Tee tauschen sich die Frauen über ihre Kinder aus. Alle finden es schwierig, einen Ausbildungsplatz zu finden.

Viele Eltern glauben, die Schule sei wie im Herkunftsland für alles zuständig

Gülsen Hirlak bemüht sich nach Kräften, ihren Sohn Yusuf (16) zu unterstützen. Der junge Mann hat einen Misserfolg zu verdauen und tut sich schwer, sich neu zu orientieren. Voller Ehrgeiz hatte er auf ein großes Unternehmen gesetzt – und scheiterte: 1.000 Bewerber, 60 Ausbildungsplätze, ein sechsstündiger Test – eine geringe Chance. Gemeinsam mit anderen Müttern hat Hirlak danach ihren Sohn zur Lehrstellenbörse begleitet. „Wir haben ihn durch die Halle gejagt“, erzählt die selbstbewusste Frau lachend. Nicht immer hilft Humor, um mit der Lage umzugehen.

Es gibt auch kritische Töne in der Mütter-Runde: Manche Eltern kümmerten sich nicht, andererseits würden Firmen die Migrantenkinder nicht wollen. Die Themen im Elterncafé im Hamburger Gymnasium Hamm sind andere. Wie wirken sich die neuen Profiloberstufen auf die Studienwahl aus? Die Eltern sind oft Akademiker. Doch die so genannten Bildungsfernen kommen auch. Betriebswirtin Mine Bagatar von Unternehmer ohne Grenzen erläutert das so: „Die wissen, wie es ist, schlecht ausgebildet zu sein, und wollen was für die Kinder erreichen.“

Erst seit elf Monaten leben die Chilenin Jenny Álvarez und Ehemann Olaf Götz mit Álvarez’ Tochter Katalina (15) in Hamburg. Die Hürden, die das Familien- und Aufenthaltsrecht für das binationale Paar bildeten sind überwunden. Nun kümmern sie sich um die Schullaufbahn. Katalina besucht eine Vorbereitungsklasse, in der sie intensiv Deutsch lernt, bevor sie in die achte Klasse am Gymnasium wechselt. Mutter Jenny Álvarez kennt das chilenische Bildungssystem gut. Sie war Lehrerin an der Grundschule in Chile, die bis zur achten Klasse reicht.

Nicht in allen Schulen nutzen Migranten das Elterncafé. Basiswoge probiert deshalb im Stadtteil Billstedt Neues. „Wir sind auf die Moschee zugegangen und machen dort ein Frauenfrühstück“, erzählt Kleine-Kathöfer. Die Mütter zu erreichen ist wichtig, denn sie spielen im Alltag ihrer Kinder die größere Rolle. „Obwohl die Berufswahl dann oft die Väter entscheiden“, fügt Anne-Gaëlle Rocher hinzu.