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Anwältin für Verjährung von Missbrauch"Da droht neue Enttäuschung"

Anwältin Margarete von Galen vertritt Opfer sexuellen Missbrauchs und ist trotzdem gegen eine Verlängerung der Verjährung. Denn Prozesse könnten mehr schaden als nutzen.

Bad Staffelstein: Hier tagten jüngst Bayerns Bischöfe und viele Menschen protestierten gegen eine neue Vertuschung. Bild: reuters
Christian Rath
Interview von Christian Rath

taz: Frau von Galen, der Missbrauch in katholischen und anderen Schulen der 60er- und 70er-Jahre ist längst verjährt. Viele Politiker, inklusive Kanzlerin Merkel, denken deshalb über eine Verlängerung der Verjährung von sexuellem Missbrauch nach. Ist das sinnvoll?

Margarete von Galen: Nein. Gerade als Anwältin, die Opfer sexuellen Missbrauchs vertritt, kann ich davor nur warnen. Wir tun den Opfern keinen Gefallen, es drohen neue Enttäuschungen.

Warum?

Auch wenn ein Missbrauch erst nach 20 oder 30 Jahren vor Gericht kommt, muss das Gericht genau feststellen können, was sich ereignet hat. Beim Opfer können Erinnerungslücken bestehen, das Tatgeschehen wurde vielleicht auch lange Zeit verdrängt. Wenn das Opfer auf einen bestreitenden Beschuldigten trifft, der eventuell sogar ein alternatives "harmloses" Geschehen zu seiner Verteidigung behauptet, kann es am Ende eines nervenaufreibenden Prozesses doch ohne den ersehnten Rechtsfrieden dastehen.

Weil ein Freispruch für den Angeklagten droht?

Ja. Das Gericht mag wohl den Eindruck gewinnen, dass dem Opfer etwas Traumatisierendes widerfahren ist, für eine Verurteilung würde das aber nicht reichen. Es kann nicht das Anliegen der Opfer sein, solche Prozesse durchstehen zu müssen.

Würden Sie einem Missbrauchsopfer überhaupt zur Strafanzeige raten?

Nicht unbedingt. Man muss bedenken, dass der Strafprozess vor allem der Verwirklichung des staatlichen Strafanspruchs dient. Aus der Opferperspektive kann allein die Konfrontation mit einem Beschuldigten - für den die Unschuldsvermutung gilt und gelten muss - schon als Zumutung empfunden werden. Statt über die Ermöglichung von Strafprozessen noch Jahrzehnte nach der Straftat zu diskutieren, sollte sich die Gesellschaft eher dafür einsetzen, dass Opfer von sexuellen Übergriffen und Gewalttaten sofort Hilfe erhalten: Therapie, Schadensersatz und bei Bedarf auch Unterstützung bei einer Anzeige.

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5 Kommentare

 / 
  • R
    ruhsamkeit

    @ele

     

    Ich empfinde es als absolute Tapferkeit sich

    Selbst gegenüber sich solch Erlebnissen zu stellen.

     

    Ich kann keine lobenswerte Disziplin darin erkennen

    sein Leben lang zu schweigen und innerlich halb tot

    zu sein und vielleicht noch Suizid zu begehen weil

    mans nicht verarbeiten kann.

     

    Reden werden meist die Opfer die sich ein besseres Leben

    wünschen.

     

    Die Opfer, die nicht reden, kann auch keine Anwältin vertreten.

  • R
    ruhsamkeit

    Ich war Opfer als Kind und kann die Anwältin Margarete von Galen nicht verstehen!!

    Es braucht viele Jahre um eine Stimme/Sprache für das *Passierte* zu entwickeln um überhaupt Reden/Berichten zu können und wenn man dann Endlich darüber Reden kann und der Täter zur Verantwortung gezogen werden könnte, sollte der Weg frei sein und nicht durch dubiose Begründungen versperrt werden.

     

     

    Ich bin für die Verlängerung der Verjährung weil ich weiß wie lange es Dauern kann

    bis man überhaupt darüber reden kann.

     

    Es ist schon schlimm genug wenn der Täter/Täterin verstorben sind (was in meinen Fall)

    war.

     

    Ich bin Lebenslänglich geschädigt (nicht mehr unversehrt)

     

    Die besten Therapien führen dazu dass man mit den tief greifenden

    Schädigungen weiter leben kann, viel mehr kann eine Therapie nicht

    bewirken.

     

    Deshalb vertritt eine Anwältin Margarete von Galen mich als ehemaliges Opfer nicht!

     

    Den Opfern muss eine Wahlfreiheit gelassen werden!!

  • E
    ele

    zuerst war ich von der überschrift disen doch sehr kurzen artikels etwas irritiert, doch in einer gewissen weise teile ich die meinung der anwältin, da ich vergleichbares erlebt habe.

     

    dennoch muss ich ausdrücklich anmerken, das zum einen niemand einen anderen menschen dazu zwingen darf schlimme erlebnisse vor unbekannten menschen offenzulegen ( aus u.a oben genannten gründen ), und zum anderen empfinde ich es als fragwürdig, nichts zu unternehmen.

     

    ich habe einen hohen respekt vor menschen, die traumatisiert wurden, und dennoch versuchen ein leben in würde zu führen ohne dieses thema jemals anzuschneiden.

    dazu gehört sehr viel disziplin, energie und leidenspotential.

     

    eine therapie kann helfen, möglicherweise sogar das leben dieser menschen wesentlich verbessern, aber das liegt in deren hand, ebenso wie die entscheidung, sich einer therapie mit all den schlechten gefühlen zu stellen, dh: all das nochmal und nochmal durchgehen zu müssen.

    zwar heisst es: danach ist man eine last los, was ich in gewisser hinsicht sogar bestätigen kann, aber leider nur zum teil.

     

    daher plädiere auch ich für die wahlfreiheit, wenn sich solche ereignisse vor langer zeit ereigneten.

    in jedem anderen fall, muss sofort geholfen und gehandelt werden, und das unter humanen bedingungen.

    etwas was dies eigentlich umschließt, ist die gewissheit des opfers, das der oder die täterin, keinen einfluss mehr auf das eigene leben hat, aber diese garantie gibt es leider nicht.

     

    daher ist es immer eine abwägungssache, die leider oft zu ungunsten des opfers geht.

  • R
    rené

    @Bernd Schneider

     

    da möchte ich Ihnen uneingeschränkt zustimmen.

  • BS
    Bernd Schneider

    Es ist unbestritten, dass ein solcher Prozess für die Opfer eine schwierige Situation darstellt und eine große psychische Herausforderung ist. Aber sexuellen Missbrauch gar nicht mehr anzuzeigen, kann ja wohl nicht ernst gemeint sein. Ein solches Verbrechen muss auch als die Straftat geahndet werden, die es ist. Oft finden Opfer erst nach einer jahrelangen Therapie die Kraft, eine Anzeige zu erstatten - gerade weil es so schwer ist. Mit einer Verjährung hätten sie dann keine Chance mehr. Der Täter kann auch dazu gebracht werden, (wenigstens) für die Therapiekosten aufzukommen (ich kenne einen Fall, wo das so ist). Diese Therapien werden nicht vollständig (wenn überhaupt) von der Krankenkasse bezahlt!

     

    Generell wäre es vielleicht nicht schlecht, mal den einen oder anderen Vertreter der Legislative und der Iudikative auf ein zwei Nächte in eine Therapie-Abteilung einzuladen, damit er sich das wirkliche Leid der Opfer ansehen kann. Die haben nämlich Lebenslänglich bekommen von ihrem Täter.