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Archiv-Artikel

Anwältin einer höheren Instanz

Åsa Larsson hat eine ganz eigene Motivation, Kriminalromane zu schreiben: weil sie in ihnen die Frage nach dem Wesen des Todes stellen kann. Auch in ihrem neuen Buch „Bis dein Zorn sich legt“

VON KATHARINA GRANZIN

Die ehemalige Steueranwältin Åsa Larsson scheut das literarische Risiko nicht. Sie traut sich, aus Sicht von Tieren zu erzählen, Menschen mit verstorbenen Angehörigen sprechen zu lassen, ja sogar Tote auftreten zu lassen. „In allen meinen Büchern zeigen sich die Toten. Ach, ich hoffe ja so sehr, dass dieses Leben hier nicht das einzige ist, das wir bekommen, wenn es auch groß ist“, gesteht die Autorin im Nachwort zu ihrem jüngsten und vierten Kriminalroman, und in diesem Bekenntnis, das einem Glaubensbekenntnis sehr nahe kommt, scheint eine ganz eigene Motivation auf, Kriminalromane zu schreiben: weil dies ein Genre ist, in dem sich wieder und wieder die Frage nach dem Wesen des Todes stellen lässt.

Zumindest lässt es sich eingehend imaginieren. Näher als in „Bis dein Zorn sich legt“ kann man an den Zustand des Gestorbenseins kaum literarisch herankommen, denn dieser Roman wird in beträchtlichen Teilen von einer Toten erzählt. „Ich erinnere mich, wie wir gestorben sind“, lautet der erste Satz, und so wissen wir schon vorher, was passieren wird. Ein junges Mädchen erzählt also, wie sie gewaltsam vom irdischen Sein gelöst wurde, zusammen mit ihrem Freund, beim Tauchen nach einem geheimnisvollen Flugzeug in einem nordschwedischen Binnensee. Danach wird nicht einmal die Hälfte des Romans vergangen sein, bis wir wissen, wer sie ermordet hat. Und dennoch, und dennoch, gerade dieser hier ständig wiederholte Kunstgriff, dieses Wissen um etwas, das geschah oder von dem man weiß, dass es bald passieren wird, steigert die Spannung noch mehr.

Denn wenn wir um die äußeren Geschehnisse wissen, quält uns die Frage nach dem Warum umso heftiger, und dieses Warum ist bei Larsson immer mehr als die übliche Krimifrage nach Tatmotiven. Ein Geflecht aus Abhängigkeiten, verdrängten Ängsten und unterdrückten Emotionen umgibt ihre Figuren wie ein Kokon. Ihr Handeln wird bestimmt von Zwängen, die so tief liegen, dass sie sich der zu simplen Motivfrage weitgehend entziehen.

Auch die Schuldfrage ist mit traditionellen Mitteln nicht zu lösen. Das weiß auch Larssons Heldin Rebecka Martinsson, die sich, fern von ihrer ehemaligen Wahlheimat Stockholm, seit dem letzten Roman fest als Staatsanwältin in Kiruna eingerichtet hat und im neuesten Roman ein amüsantes Alphahündinnen-Duell mit der temperamentvollen Polizistin Anna-Maria Mella darüber austrägt, wer die Mordermittlungen leitet.

Diese kreisen wieder einmal um eine so verschworene wie verschwiegene Gruppe von Menschen, die etwas wissen, doch nichts sagen wollen. Auf ziemlich bedrohliche Weise blocken die Verwandten des toten Mädchens jeden Befragungsversuch ab. Das im Jahr 1943 versunkene Flugzeug, zu dem die jungen Leute tauchen wollten, liegt derweil unerreichbar unter dem Eis; und wenn am Schluss des Romans das Frühlingstauwetter einsetzt, ist das auch ein Symbol für das Ende des großen Schweigens.

In guter Larsson’scher Tradition wird Rebecka Martinsson wieder einmal extrem knapp mit dem Leben davonkommen, während die Übeltäter von einer gerechten Strafe ereilt werden, die nichts mit staatlicher Rechtsprechung zu tun hat. Dieses am Ende jedes Larsson-Romans wiederholte Muster ist mittlerweile ein klein wenig zur Routine geronnen. Doch auch die darin liegende Gesetzmäßigkeit muss wahrscheinlich als Wunschbild gesehen werden. Es hat etwas geradezu Übernatürliches, wie Rebecka Martinsson – sozusagen als Staatsanwältin einer höheren Instanz – das Böse jeweils zur Strecke bringt; dass dabei tatsächlich übernatürliche Kräfte im Spiel sein könnten, ist bei einer Frau, der im Traum die Toten erscheinen, nicht so weit hergeholt.

Und, ja, natürlich fänden wir es alle wundervoll, wenn es wirklich so wäre, dass metaphysische Kräfte uns helfen würden, das Böse auf der Welt zu bekämpfen. Auch deshalb fällt es leicht, Larsson zu folgen, wenn man nun auch nicht unbedingt an Naturmystik und Seelenwanderung glaubt. Man darf diese Romane als genau richtig spannende, genau richtig komplexe Erwachsenenmärchen goutieren, mit vielen Tieren, Bösewichten und starken Frauen, die Ordnung in das Chaos der Welt bringen. Zur Rettung der Heldinnen kommen die Prinzen hier übrigens immer zu spät. Doch die werden auch eher für die irdischen Genüsse gebraucht.

Fotohinweis:Åsa Larsson: „Bis dein Zorn sich legt“. Aus dem Schwedischen von Gabriele Haefs. C. Bertelsmann, München 2009, 348 Seiten, 19,95 Euro