Anwältin Theisohn über queeren Protest: "Kein Schutz vom Staat"
Am Rande des Evangelikalen-Events Christival kam es 2008 in Bremen zu queerem Protest - der mit massivem Polizeieinsatz beantwortet wurde. Die Klage dagegen hat das Verwaltungsgericht nun abgewiesen. Rechtsanwältin Gilljen Theisohn über bestätigte Befürchtungen und gefährliche Signale.
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taz: Frau Theisohn, ist das Christival-Urteil ein Signal?
Gilljen Theisohn: Es ist auf jeden Fall ein Signal, dass unsere Klage vom Verwaltungsgericht abgeschmettert worden ist. Und der Zeitpunkt ist nach meiner Einschätzung gefährlich: Es ist ja zu erwarten, dass die Polizei im Umfeld der Einheitsfeierlichkeiten Einschränkungen gegen Menschen verstärkt, die sich gegen diskriminierende und unterdrückende politische Standards in der BRD wehren. Darin wird sie durch dieses Urteil ermutigt.
Inwiefern?
Es zeigt, dass Polizeimaßnahmen im Zweifel von den Gerichten gedeckt werden. Das erschwert Menschen, öffentlich zu sagen: Wir wollen noch etwas anderes, als in diesem Staat möglich ist - sei es auf sexuelle Freiheiten bezogen, sei es auf Anti-Rassismus, Anti-Nationalismus oder Anti-Kapitalismus. Ich gehe davon aus, dass das leider zu mehr Konflikten führen wird.
Sprich: Das jetzige Urteil bleibt nicht das letzte Wort?
Wenn es nach meinem Kollegen Jan Sürig und mir geht: auf keinen Fall. Unsere MandantInnen überlegen sich allerdings sehr genau, ob sie weiter so viel Kraft, Arbeit und Geld in ein solches Verfahren stecken. Sie fühlen sich durch das Urteil bestätigt.
Bestätigt?
Für unsere MandantInnen ist das eine Bestätigung dessen, was sie vom Rechtsstaat befürchtet haben - nämlich, dass er ihnen keinen Schutz gewährt. Dass er queeren und Transgender-Personen nicht die Freiheit garantiert, sich öffentlich zu versammeln.
Rechtsanwältin, hat in Bremen studiert und führt dort mit Jan Sürig eine Kanzlei.
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Mit homophoben Lehren sorgte der Evangelikalen-Treff "Christival" in Bremen für Protest - u. a. die Spontan-Demo am 2. 5. 2008.
Deren Ausgangspunkt war ein Kiss-In in der Martini-Kirche. Aus der wurden die queeren AktivistInnen teils mit Schlägen vertrieben.
Die Gruppe setzte das Kiss-In beim Freiluft-Beten auf dem Markt fort. Es kam zu Ingewahrsamnahmen, die Betroffenen klagten.
Nach neun Monaten Verhandlung erging Mittwoch das Urteil.
Ist das nicht ein falscher Eindruck?
Das Urteil zeigt doch, dass Bremen Angst hat vor rosa Herzchen!
Aber die Kammer hat sich doch viel Mühe gegeben und Zeit gelassen: Wo ließe sich da Voreingenommenheit festmachen?
Ausleuchten kann man die Frage erst, wenn man die Urteilsbegründung kennt. Aber, wenn ich mir die Zeugenaussagen anschaue, dann kann ich positiv sagen: Wir haben die Versammlung dargestellt, wir haben die Friedfertigkeit der Versammlung dargestellt, wir haben gezeigt, dass sie nicht aufgelöst wurde - und trotzdem kam es zu den Ingewahrsamnahmen, die, wie wir auch gezeigt haben, nicht auf einem Platzverweis beruhen konnten. Deshalb waren sie rechtswidrig.
Der Polizist Oe. hat die Situation aber als extrem bedrohlich geschildert.
In Polizeibefragungen wird das Gegenüber meistens als groß und bedrohlich dargestellt. Der Zeuge Oe. hat eine einzige konkrete Handlung erinnert, nämlich, dass ihn jemand am Arm gezogen habe, um sein Funkgerät zu bekommen. Das Gericht hatte diese Handlung ohne Anhaltspunkte meiner Mandantin zugeschrieben - sodass ich intervenieren musste. Das spricht doch für eine Voreingenommenheit.
Sie hatten auch die Behandlung Ihres Mandanten im Gewahrsam moniert.
Das ist für mich der zweite Skandal: Dass ein junger Mann von 18 Jahren, kurz nachdem er gegen Homophobie demonstriert hat, auf der Wache gezwungen wird, sich nackt auszuziehen, dass er sich vorbeugen muss, damit ein Polizist seine "Arschritze" untersuchen kann - dafür gibt es keine Rechtsgrundlage. Das ist laut europäischer Menschenrechtskonvention eine erniedrigende Handlung.
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