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Archiv-Artikel

Antreten zum Abort

Filmwissenschaft und Kunst spülen den stillen Ort mit lautem Rauschen in die interessierte Öffentlichkeit

Ewan McGregor tauchte dort ab, Christiane F. nahm ihre tägliche Dosis ein und John Travolta bekam sein Leben ausgehaucht. Ein handlungsentscheidender Ort war das Klo schon immer. Doch offensichtlich dauerte es ein wenig, bis sich auch die akademischen Kinogänger der Thematik angenommen haben.

Den Vorreiter macht der Nürnberger Philipp Alexander Tschirps, ein Absolvent der exzellenten Ruhr-Universität zu Bochum, der in seinem Band „Das Klo im Kino“ das Abort aus allen Kameraperspektiven beleuchtet. Seinen Einzug ins Kino Hollywoods hielt es durch einen Schnitt in der Duschszene in Alfred Hitchcocks „Psycho“, in der ein paar Sekunden lang eine Spülung zu sehen war – ein Tabubruch, auf den das erwartete Gähnen heutiger Zeitgenossen folgt. Denn auf dem Zelluloidklo darf man heute alles das, was im Kino auch sonst erlaubt ist: Drogen nehmen, Sex haben und seine Geschäfte abschließen. Nichts Menschliches bleibt der Toilette fremd.

Das akademische Äquivalent zum Tabu ist die Forschungslücke und diese füllt Tschirps mit Bezug auf die üblichen Verdächtigen der Kulturwissenschaft. Mit E.H. Gombrich wird der Forschungsgegenstand umrissen und mit Diedrich Diederichsen auf den aktuellen Stand der gebildeten Debatte gebracht. Und selbstverständlich muss die Herangehensweise mit einem Hinweis auf Siegmund Freud legitimiert werden, weil nämlich „(...) derjenige, der diese Dinge studiert, als kaum weniger ‚unanständig‘ gilt, wie wer das Unanständige wirklich tut.“

Aus dieser Perspektive möchte man dem Düsseldorfer Künstler Hans-Peter Feldmann eigentlich erstmal viel Glück für sein Projekt wünschen. Im Rahmen der Kunstschau „skulptur projekte 07“ wird er die öffentlichen Toiletten am Münsteraner Domplatz mit Fliesen in Farbe, Blumenbildern im Großformat und Lichteffekten in der Spezialausführung verschönern. Feldmann versteht seine Arbeit als „Dienstleistung für eine breite Öffentlichkeit“, nach der Renovierung werden die Toiletten gratis zu benutzen sein – damit sich dort noch weiterer Filmstoff abspielen kann.

CHRISTIAN WERTHSCHULTE