Antonia Baum über Eminem: Die Macht des Losers
Mit seinen Texten hat US-Rapper Eminem das Selbstbild der Weißen angegriffen, sagt Autorin Antonia Baum. Sie hat ein Buch über ihn geschrieben.
taz: Frau Baum, Sie haben ein Buch über Eminem geschrieben. Erinnern Sie sich, wann Sie ihn das erste Mal gehört haben?
Antonia Baum: Der war 1999 plötzlich bei MTV und mein kleiner Bruder fand ihn cool, deshalb habe ich mich auch für ihn interessiert. Er hatte ein anderes Programm als die anderen Rapper. Nicht so statusbegeistert und ernst, sondern ein Loser, der sich über sich selbst lustig gemacht hat. Die Story, die er erzählen wollte, habe ich gefühlt, wie man als Rapper so sagt.
Was war das für ein Gefühl?
Schmerz vor allem. Eminem hört man nicht zum Partymachen oder Pumpen im Fitnesscenter. Es ist Musik, die das Alleinsein begleitet. Bei den anderen Rappern hieß es: Es mag ja sein, dass ich aus dieser blöden Gegend komme, aber ich kann das und das und rappen. Eminen war dagegen ein uncooler Typ. Das mochte ich.
Aber Eminen und Sie kommen aus zwei verschiedenen Welten. Er war arm und hat auf einem Trailerpark in Detroit mit einer alkohol- und medikamentenabhängigen Mutter gelebt. Sie stammen aus Mittelschichtsverhältnissen. Wie passt das für Sie zusammen?
Wenn das nicht zusammenpassen würde, wäre Rap niemals so erfolgreich geworden. Auch in der Mittelschicht gibt es Schmerz, aber der gibt, rein plotmäßig, vielleicht keine so gute Story her. Weder für Literatur noch für Rap. Und möglicherweise schämt man sich ja auch ein bisschen für diese Story, weil damit ja auch der Vorwurf im Raum steht, man jammere auf hohem Niveau. Ich komme zwar aus einem Haushalt, wo es Geld gab.
Aber meine Eltern haben sich getrennt, wir waren dann bei unserem Vater, wo alles ein bisschen chaotisch war und das in diesem Mittelschichtsmilieu, wo ringsherum diese ganzen perfekten, nichtgetrennten, aufgeräumten Eltern waren. Ich habe dann das Gefühl gehabt, dass ich da irgendwie nicht mehr so richtig mitmachen kann. Eminem machte mir damals ein sehr konkretes Identifikationsangebot, weil er immer wieder auf unterschiedlichste Weise erzählte: Ausgebuht werden, aber trotzdem weitermachen und es dann irgendwie schaffen.
Das hat etwas Universelles: Ich kämpfe mich aus einer unangenehmen Lage aus eigener Kraft heraus.
geboren 1984, ist Schriftstellerin und Autorin der Zeit. Im Oktober erschien „Antonia Baum über Eminem“ in der KiWi-Reihe Musikbibliothek.
Aber es ist auch eine Art kapitalistische Ertüchtigungsmusik, ein Song, der zu einer bestimmten Konditionierung passt, die einen von der Schule bis zum Berufseintritt und zur nächsten Gehaltsstufe begleitet. Du kannst alles schaffen, wenn du nur willst. Aber das passt zu Rap, Rap ist gewinnen mit Worten.
Und Eminem war der Punk unter den Rappern, weil er den Loser gespielt hat?
Er war Anti-Establishment, auch auf eine ganz beschissene Weise, aber trotzdem, er war gegen alle, die gesagt haben: Es ist doch eigentlich ganz schön hier.
Sie schreiben, er hätte so viel Aufsehen erregt, weil er Eigenschaften hatte, die in den USA typischerweise Schwarzen zugeschrieben wurden. Was sagt uns das über den Zusammenhang von Klasse und Rassismus?
Im amerikanischen Bewusstsein war Rap mit Ghetto assoziiert, das war für Schwarze reserviert und solange das so war, gab es auch kein Problem. Dann trafen Zuschreibungen, die mit Rap assoziiert wurden, plötzlich auf einen Weißen zu: alleinerziehende Mutter, Drogenabhängigkeit, Gewalt, Armut. Eminem hat sich damit auch noch ins Zentrum gestellt und gesagt, schaut mich an, ich bin so und ich sage das auch noch. Das war ein Angriff auf das weiße Selbstbild.
Es gibt diesen Auftritt bei den MTV Video Music Awards im Jahr 2000, da betritt er die Radio City Music Hall und performt „The Real Slim Shady“ und hinter ihm laufen ganz viele Männer, die genauso aussehen wie er: blondierte Haare, weißes T-Shirt, weite Hosen. Damit hat er das Ganze auf den Punkt gebracht. Er hat mit seiner Erzählung auch die Keimzelle des christlichen, evangelikalen, weißen Amerikas, nämlich die Familie, auseinandergenommen. Deswegen haben sich alle aufgeregt.
Eminem hat also die uramerikanische Erzählung des Erfolgs und Wohlstands durch individuelle Anstrengung angegriffen, damit eine rassistische Erzählung gekippt und zugleich das Thema Klasse unter Weißen aktualisiert, die Armut von sich weg und auf Schwarze projiziert hatten.
Genau. Deshalb ist Rassismus ja ein Riesenthema in den USA, sozusagen die Bedingung der ganzen Veranstaltung.
Man könnte auch sagen, Rassismus ist eine Voraussetzung für die Klassengesellschaft, weil Rassismus Weißen ermöglicht, nicht über Klasse sprechen zu müssen.
Teilweise kann man das auf deutsche Verhältnisse übertragen. Auch in Deutschland hieß es ja lange: Rassismus, das sind die anderen.
In Deutschland war es der Offenbacher Rapper Haftbefehl, der Hiphop endgültig in den Feuilletons etabliert hat. Sie haben immer wieder über ihn geschrieben, auch 2014 über sein legendäres Album „Russisch Roulette“. Gibt es da eine Ähnlichkeit?
Die Entdeckung Eminems durch das Feuilleton war eine Opposition zur Empörung, die sich gegen ihn aufgebaut hatte. Aber es ist auch eine ganz schicke Pose zu sagen: Ja, okay, dieser Typ, der ist zwar ein bisschen asi, aber guckt mal, er ist total begabt. Es steht einem gut, ein Genie zu erkennen, gerade wenn man sich als unkonventionellen Entdecker gibt.
Du kannst dann als Feuilletonist jemand sein, der total liberal und openminded ist. Was auch eine Rolle spielt, ist eine sozialromantische Utopie: Hey, es gibt ja gar keine Barrieren, hier können es alle schaffen. Aber so einer wie Eminem kann nur Teil des Feuilletons sein in Abgrenzung vom Feuilleton, als der Andere. Das ist bei Haftbefehl vergleichbar.
Warum aber hat es erst Haftbefehl geschafft, über Milieugrenzen hinaus ernst genommen zu werden?
Selbst wenn es eine selbstgefällige Geste ist, Haftbefehl hochzuloben, es war auch ein Zeichen des Fortschritts, als die sogenannte Gesellschaft oder das Feuilleton bereit waren für ihn. Gleichzeitig hat er auch wirklich etwas Neues gemacht, sein Style, unterschiedliche Sprachen zu mischen, seine Art, Geschichten zu erzählen. Es ist auch kein Zufall, dass nach „Russisch Roulette“ Diskurse über Rassismus in der Popkultur intensiver wurden. Haftbefehl hat schon über alles geschrieben, worüber wir jetzt sprechen. Polizeigewalt zum Beispiel.
Die Verletzlichkeit und die Trauer verbinden Haftbefehl mit Eminem auch.
Es geht um Depression, Ohnmacht, Durchdrehen, um das Unzureichendsein als Mann innerhalb eines Systems, das von einem verlangt zu performen.
Wie viele andere Kollegen auch rappt Eminem homo- und frauenfeindliche Texte. In „'97 Bonnie & Clyde“ erklärt er seiner Tochter Hailie, wie er die Leiche ihrer Mutter, die er getötet hat, entsorgt. Ist es nicht widersprüchlich, feministisch zu denken und trotzdem Eminem zu hören?
Die Realität ist voller Widersprüche und es wäre schrecklich, wenn die Kunst die Aufgabe hätte, widerspruchsfrei zu sein. Dann würden wir schlechte Kunst bekommen. Ich bin nicht dafür zuständig, diese Widersprüche aufzulösen, denn diese Widersprüche fangen schon vor der Kunst an. Jemand wie Eminem bildet sie ab und daraus folgt natürlich überhaupt nicht, dass er nicht schwulenfeindliche oder misogyne Texte geschrieben hat. Das hat er und es waren aber trotzdem manchmal in anderer Hinsicht sehr gute Texte.
Als Jugendliche haben mich die Misogynie und Homophobie darin gar nicht gewundert, weil diese Dinge auch sonst überall waren, im Fernsehen, in der Schule. Diesen Rap zu hören, hatte damals aber auch auf eine verdrehte Weise Benefits für mich: Ich konnte mich für herausragend locker und unkompliziert und cool und nicht „tussig“ halten – damit meine ich alles, was damals als typisch weiblich und scheiße galt. Ich habe gedacht, ich bin sogar cooler als die Jungs, mit denen ich das höre, weil ich da darüberstehe.
Das ist eine ganz alte Geschichte, die man auch jetzt in Debatten beobachten kann, wenn irgendwelche Frauen sagen, sie hätten keine Probleme mit Sexismus oder was auch immer und dann Applaus von Männern bekommen. Und den habe ich auch bekommen, oder versucht, ihn zu bekommen. Aber genau an dieser Stelle wird es doch erst interessant, wenn man über solche Dinge nachdenkt und sich darüber verständigt. Das ist besser, als zu sagen: Damit haben wir nichts zu tun. Das sind Widersprüche, die kann man nicht einfach auflösen. Man kann sie auch nicht wegargumentieren.
Ist es ein Ausdruck genau dieser Ambivalenz, dass Sie sich am Anfang und Ende Ihres Buches so sehr von Eminem abgrenzen?
Ich habe ihn früher gehört, heute höre ich ihn nicht mehr. Aber vielleicht habe ich auch das Gefühl, dass ich mich heute mehr davon abgrenzen muss. Aber das, was damals war, bleibt wichtig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe