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Antisemitismus in BerlinNeue Normalitäten

Vor der Wahl wird kaum über Antisemitismus diskutiert. Betroffene und Engagierte wehren sich gegen Verharmlosung – und gegen falsche Solidarität.

Immer wieder versucht die AfD den Holocaust zu relativieren Foto: dpa

Berlin taz | Oranienstraße, Kreuzberg: Dervis Hizarci begrüßt freundlich und mit festem Handdruck in den hölzernen Räumlichkeiten der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, die „politische Bildung für die Migrationsgesellschaft“ organisiert. Zwei Altbauwohnungen hat die Initiative im belebtesten Eck dieses Bezirks zusammengelegt, so hat sie genug Räume für ihre Seminare, dazu eine kleine Bibliothek.

Am großen Tisch im Besprechungsraum lehnt Hizarci sich in seinen Stuhl zurück, überlegt, redet langsam, wenn er zu Antisemitismus befragt wird: „Das größte Problem ist, dass neue Normalitäten geschaffen werden, dass Grenzen des Sagbaren verschoben werden.“

Wenn er erzählt, geht er davon aus, dass man nicht einmal den Namen jener Partei nennen muss, der er diese Grenzverschiebungen zuspricht: der AfD. „Unsere Aufgabe ist es mit Bildungsangeboten und Begegnungen neue Grenzen zu schaffen“, sagt er und schiebt nach: „Grenzen setzen im positiven, nicht im negativen Sinne.“

Auf der anderen Seite der Spree, in den Hackeschen Höfen sitzt Marina Chernivsky mit ihrer Tochter in ihrem Lieblingscafé. Die Leiterin des Kompetenzzentrums der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland ist auch Mitglied im Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus des Bundestags.

Ressentiments als latentes Gesellschaftsproblem

Sie erzählt, dass Antisemitismus eine mögliche Spaltungslinie in sämtlichen Parteien sei. Antisemitismus ziehe sich durch alle Gesellschaftsschichten und politischen Lager. Der Stand des Ressentiments im öffentlichen Diskurs stört Cher­niv­sky am meisten: „Entweder wird erst darüber gesprochen, wenn es wieder einen medialen Skandal gibt, oder das Thema ist eher Nebensache und wird bagatellisiert.“

Eine besonnene und kons­truk­tive Debatte sei daher nicht möglich – obwohl sich viele, auch sie, darum bemühten. Auf der Facebook-Seite der „Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus“ (RIAS) zeigt sie Beispiele für Ressentiments, die sie jenseits dieser Zuspitzungen als latentes, gesellschaftliches Phänomen begreift: Wahlplakate, die mit antisemitischen Stereotypen wie der imaginären „Allmacht der Juden“ operieren: Auf einem Plakat der Partei „Deutsche Mitte“ sieht man eine Riesenkrake, die mit ihren Fängen die Welt umspannt, darunter der Imperativ: „Finanzkartell abschaffen!“

Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus rief dazu auf, antisemitische Vorfälle im Wahlkampf zu melden. Laut Benjamin Steinitz, Leiter von RIAS, schaffe die AfD einen Raum, der antisemitische Haltungen verstärken kann. Seiner Ansicht nach finde sich im Bundeswahlprogramm der Partei die Bestrebung, den Stellenwert der Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten zu verringern. Dazu bemühe sich die Partei, den gesellschaftlichen Umgang mit der AfD mit der Verfolgung der Juden durch die Nazis gleichzusetzen. Steinitz sieht darin eine NS-Relativierung.

Offene Kampfansage der AfD

Widerspruchslos ist das Verhältnis der AfD zum Antisemitismus trotzdem nicht, wie Steinitz’ Kollege, Mathias Wörsching von der „Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus“, einwendet. Grund: „ins­trumentelle Antisemitismuskritik“ oder vermeintliche „Israelsolidarität“ bei der AfD. Das Ziel sei, Antisemitismus ausschließlich bei MuslimInnen zu verorten, ihn quasi als „importiert“ zu betrachten.

Wörsching sagt: „Diesen angeblich mit Israel solidarischen VertreterInnen der AfD gefällt es, wenn Israel Kriege gegen seine arabisch-muslimischen Nachbarn führen muss. Sie wollen kein friedliches Zusammenleben der Menschen im Nahen Osten.“ Friedliches Zusammenleben will die Partei wohl auch in Deutschland nicht. Das zeigt ihre offene Kampfansage an alle, die ihr als nicht deutsch gelten. Bedroht sind auch Jüdinnen und Juden.

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1 Kommentar

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  • Ich vermisse Belege für zahlreiche Behauptungen; behaupten ist offenbar leicht, belegen schwer.