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Antisemitischer Mord in FrankreichProzess gegen "Gang des Barbares"

In Paris stehen seit Mittwoch 27 Mitglieder einer Vorstadtbande vor Gericht. Sie sollen einen 23-jährigen Juden entführt, drei Wochen gefoltert und ermordet haben.

Hinter verschlossenen Türen muss das Schwurgericht in Paris über eines der aufsehenerregendsten Verbrechen der letzten Jahre in Frankreich beraten: die Entführung, die Misshandlungen und den Mord des 23-jährigen Handyverkäufers Ilan Halimi.

Insgesamt 27 Frauen und Männer aus den südlichen Vorstädten sind angeklagt. Auf ihnen lastet auch der Vorwurf des Antisemitismus. Youssouf Fofana, Anführer der "Gang des Barbares" und Hauptangeklagter, soll sein Opfer ausgewählt haben, weil es jüdisch war. Fofanas soll erklärt haben: "Die Juden sind eine solidarische Gemeinschaft. Sie werden das Lösegeld besorgen."

Mit dem Ausspruch "Allah ist mächtig" hat der Hauptangeklagte Fofana am Mittwochmittag den Prozess mit der erwarteten Provokationen eröffnet. Als Geburtsdatum nennt er den 13. Februar 2006, als Geburtsort: Sainte-Geneviève-des-Bois. An diesem Tag und diesem Ort wurde Halimi mit schweren Verbrennungen und Verletzungen im Todeskampf neben einem Eisenbahngleis gefunden. Der Mann, der 24 Tage vorher in eine Falle gelockt worden war, starb auf dem Weg ins Krankenhaus.

Fofana, der Mann, der das Verbrechen nach Einschätzung des Gerichtes ausgedacht, koordiniert und punktuell selbst ausgeführt hat, ist 28 Jahre alt. Er kam in Paris zur Welt, wuchs mal in Frankreich, mal in der Elfenbeinküste auf. Er war ein berüchtigter Bandenchef in eine Hochhaussiedluung von Bagneux südlich von Paris. Einer Mitangeklagten soll er während der Entführung gesagt haben, er brauche Geld, um seine eigene "Rebellion in der Elfenbeinküste" zu finanzieren.

26 andere junge Leute aus der Banlieue sind als KomplizInnen angeklagt. Zwei von ihnen waren zur Tatzeit erst 17 Jahre alt: das hübsche Mädchen, das Ilan Halimi in einen Heizungskeller lockte, wo er zum ersten Mal geschlagen und mit Äther betäubt wurde, und einer der Jungen, die ihn bewachten. Weil sie minderjährig waren, als das Verbrechen stattfand, findet die Gerichtsverhandlung hinter verschlossenen Türen statt.

Die Angehörigen des Ermordeten hatten um einen öffentlichen Prozess gebeten. Die Mutter, Ruth Halimi, hat ein Buch über das 24-tägige Martyrium ihres Sohns geschrieben. Ihre Angst sitzt tief. Wenn sie heute Fernseh-Interviews gibt, tut sie es mit verdecktem Gesicht.

Die meisten Angeklagten wohnten in zwei Hochhäusern in Bagneux. Einige stammen aus Einwandererfamilien. Manche Jungen waren schon vor der Tat Mitglieder der Gang von Fofana. Sie lebten von Dealerei und Diebstählen.

Bevor Ilan Halimi in die Hände der Gang fiel, war diese bereits mit mehreren Kidnappingversuchen gescheitert. Die meisten ihrer vorher ausgewählten Opfer waren ebenfalls jüdisch. Einer stammte aus einer afrikanischen Familie.

Per Internet und Telefon verlangte Fofana 450.000 Euro Lösegeld von der Familie seines Opfers. Mehrfach schickte er Videos, die Folterungen von Ilan Halimi zeigten. Die Entführer bedrohten auch dessen Angehörige. Unter andere droht Fofana der Freundin von Ilan Halimi telefonisch mit Mord.

Zu Lösegeldübergaben kam es nicht. Der Vater des Entführten wollte es in Paris übergeben. Fofana wollte das Geld in Brüssel entgegennehmen. Als Begründung sagte er, dass er in Paris keine Geräte zur Identifizierung von Falschgeld habe.

Die ErmittlerInnen gehen davon aus, dass nicht nur die Tatbeteiligten, sondern weitere Personen zumindest Details über die Entführung wussten. Warum niemand sofort zur Polizei ging, das gehört zu den vielen Fragen, die das Gericht klären muss. Es muss auch den Vorwurf prüfen, die Polizei habe die Brutalität und die Organisation der Entführer unterschätzt. Und sie habe es auch versäumt, sofort nach dem Verschwinden von Halimi Phantombilder einzelner Tatverdächtiger zu veröffentlichen.

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1 Kommentar

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  • AB
    alles beim Alten

    Sollte die Übersetzung von "allahu akbar" nicht eigentlich heißen "Gott ist größer"?

    Der Ausspruch bezieht sich doch auf die Anklagen bei Gericht.

     

    Selbst wenn man den Vergleich wegläßt, bleibt inhaltlich noch "Gott ist am größten". Was einer Verachtung des Rechtsystems und seiner Normen entspricht.