Antipolnische Ressentiments in Vorpommern: Bis es knallt
Weil die Mieten in Löcknitz billig sind, ziehen immer mehr Polen in das Grenzdorf. Sie bringen Geld und Jobs. Doch die NPD macht Stimmung gegen die Zuzügler.
LÖCKNITZ taz Der Stein des Anstoßes in Löcknitz steht direkt an der Hauptstraße. Ein frisch saniertes, weißes Haus mit vier Etagen. Abends, wenn die Lichter angehen, kann man durch die Fenster rote Wände und plüschiges Mobiliar sehen. "Das ist doch ein Puff", munkeln die Leute. "Das ist unser Vorzeigeobjekt", sagt Lothar Meistring. "Unsere ,Villa'."
Lothar Meistring, 60, ist Bürgermeister von Löcknitz. Die 3.000-Einwohner-Gemeinde liegt in Vorpommern, direkt an der Grenze zu Polen. Nicht mal zwanzig Kilometer sind es bis nach Stettin. Seit 2004 die Grenze geöffnet wurde, streben immer mehr Polen rüber zu den deutschen Nachbarn. Sie eröffnen Kosmetikstudios und Friseursalons, sie gründen Werkstätten und Geschäfte, sie arbeiten als Ärzte im nahen Pasewalker Krankenhaus. Oder sie verwandeln eine Ruine in ein Hotel, das sich von den anderen Häusern in Löcknitz derart abhebt, dass der Bürgermeister es als Villa bezeichnet.
Ganze Familien siedeln um, mit Kind und Kegel. Die Mieten in Löcknitz sind niedriger als in Stettin. Inzwischen sind rund 200 Polen nach Löcknitz gezogen, die Eltern haben ihre Kinder in den Schulen und im Kindergarten angemeldet, sie schicken sie in Sportvereine und in den Jugendklub. Wenn Lothar Meistring aus dem Fenster seines Bürgermeisterbüros am Marktplatz schaut, blickt er auf einen Parkplatz. Viele Autos dort haben polnische Kennzeichen. Bevor die Polen kamen, war ein Fünftel der Plattenbauten in Löcknitz unbewohnt. In anderen ostdeutschen Gemeinden werden die Häuser abgerissen, hier gibt es nun praktisch keinen Leerstand mehr.
Lothar Meistring ist Mitglied der Linkspartei und froh darüber, dass die Polen da sind. Der Landkreis Uecker-Randow, in dem Löcknitz liegt, zählt zu den ärmsten in Deutschland, die Arbeitslosenquote liegt bei 17,9 Prozent. Aber das ändert sich, langsam zwar, aber stetig. Die Polen bringen Kaufkraft, und sie schaffen Kaufkraft. Sie bauen nicht nur Häuser aus und sanieren auf eigene Kosten ihre Mietwohnungen, sie schaffen auch Arbeitsplätze und stellen Deutsche ein. 85 Polen haben in Löcknitz ein Gewerbe angemeldet, etwa die Hälfte von ihnen hat mindestens einen deutschen Angestellten. Lothar Meistring sagt: "Die polnischen Bürger sind gut für uns."
Doch so wie er denken nicht alle Löcknitzer. Im Gegenteil, seit einiger Zeit macht sich eine antipolnische Stimmung breit. Immer wieder taucht die Frage auf: Wieso haben die Polen so viel Geld? Der Bauunternehmer Jan Przybylski und seine Frau Barbara, die Inhaber der "Villa", sind es leid, sich ständig zu verteidigen: Sie haben ihr Haus nicht, wie viele meinen, mit deutschen Fördergeldern ausgebaut, sondern mit Eigenmitteln. "Da muss man offen drüber reden", sagt Heidrun Hiller von der Regionalen Agenda 21 Stettiner Haff, die sich um die Verständigung in der Region bemüht. "Sonst knallt es bald." Es hat schon geknallt.
Anfang des Jahres wurden die Scheiben von neun polnischen Autos eingeschlagen, einer Dolmetscherin wurden die Reifen zerstochen. Der Werbeaufsteller einer polnischen Computerfirma ist regelmäßig zerfleddert. Am Pfingstwochenende haben drei halbwüchsige Mädchen spielende polnische Kinder bespuckt, mit Bier übergossen und dabei polenfeindliche Parolen gerufen. Als die Mutter eines der Mädchen sie zur Rede stellte, kam es zur Rangelei. Die Polizei ermittelt nun in der Sache. Vor wenigen Wochen waren Mauern im Ort mit antipolnischen Sprüchen beschmiert. "Deutsche wacht auf" und "Polacken raus" stand da in großen Lettern. Und erst vor kurzem griffen Neonazis drei Polizisten an, später wurden mehrere Personen verhaftet. Die Neubrandenburger Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.
"Das sind Einzelfälle", sagt Lothar Meistring. Er hebt die Arme zur Was-soll-ich-machen-Geste. Es ärgert ihn, wenn er immer wieder nach "diesen Schmierereien" gefragt wird. "Da wird ein Wirbel um etwas gemacht, das es gar nicht wert ist", sagt er.
Meistring ist ein sportlicher Typ, mit Jeans und Jackett, er spricht hastig und bringt Sätze, deren Ende man ahnt, nicht zu Ende. Ständig klingelt sein Telefon: Bei den Plänen zum Kita-Neubau hakt es, das Schützenfest muss vorbereitet werden, dann ist da noch ein ungeklärter Bauantrag. Die Mittagspause reicht gerade für eine Bockwurst. Lothar Meistring lebt für seine Gemeinde, die Gemeinde lebt durch Lothar Meistring. Negative Schlagzeilen kann er nicht gebrauchen.
Der Bürgermeister hat Unterstützung, von polnischer Seite. Der Investmentberater und Immobilienmakler Jan Rybski ist vor einem Jahr von Hamburg nach Löcknitz gezogen. "Es gibt hier keine antipolnische Stimmung, das ist eine Erfindung der Medien", sagt selbst er. "Die NPD? Eine Lappalie."
Auch Rybski, Geschäftsmann durch und durch, kann schlechte Nachrichten nicht gebrauchen. Er baut gerade das deutsch-polnische Wohngebiet "Am schwarzen Grund" - 14 Doppel- und Reihenhäuser. "Wir leisten hier Pionierarbeit", sagt Rybski. Sein Sohn geht auf die Löcknitzer Europaschule, das deutsch-polnische Gymnasium.
Elzbieta Steinhöfel ist nicht ganz so optimistisch. Sie rührt ihren Kaffee um, ihr Kinn hat sie auf die Hand gestützt. "Es sollte doch ein Nehmen und ein Geben sein zwischen Deutschen und Polen", sagt sie. "Aber wo ist das?" Elzbieta, genannt Ella, ist schon vor 15 Jahren von Stettin nach Löcknitz gekommen. Sie hat einen Deutschen geheiratet, zwei Kinder bekommen und ein flaches Haus am Dorfrand ausgebaut. Die 35-Jährige lebt gern hier: "Ich fühle mich pudelwohl." Aber ihre polnische Staatsbürgerschaft, die gibt die arbeitslose Köchin nicht ab. "Ich lasse mir ein Hintertürchen offen", sagt sie. "Wer weiß, was noch passiert."
Sie hat die Schmierereien gesehen und von den demolierten Autos in der Zeitung gelesen. Sie sagt: "Ich habe viele deutsche Freunde, die reden schlecht über Polen: Die nehmen uns die Arbeit weg und bekommen unsere Sozialgelder. Und dann sagen sie: Ella, das ist nicht gegen dich." Ella Steinhöfel versteht das alles nicht: "Die Polen machen Löcknitz doch schön. Und wo keine Arbeit ist, kann man sie nicht wegnehmen." Ihr Mann ist Bauarbeiter, seit die Grenze offen ist, fährt er zum Arbeiten immer öfter nach Stettin.
"Die Auseinandersetzungen werden zunehmen", sagt Heidrun Hiller, 44. Die Stadt- und Regionalplanerin kennt sich aus mit Problemzonen. Bevor sie vor drei Jahren in den Nordosten kam, hat sie in Berlin als Quartiersmanagerin gearbeitet, unter anderem in Neukölln. Der Bezirk hat mit der Rütli-Schule und der gescheiterten Integration von Migrantenkindern Schlagzeilen gemacht. "Das Nebeneinander verschiedener Ethnien ist eben doch mehr, als nur keine Steine zu werfen", sagt Heidrun Hiller. "Man darf die Probleme hier nicht deckeln, man muss sie offenlegen." Vor allem die mit der NPD.
Die Nationalen haben bei den letzten Landtagswahlen 2006 mit 15 Prozent im Uecker-Randow-Kreis die höchste Quote erzielt, in Löcknitz kamen sie auf 18 Prozent. Die Vertreter der rechten Partei sprechen laut aus, was viele Löcknitzer denken. Deshalb wurden sie ja auch gewählt. Auf seiner Homepage schreibt der NPD-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern: "Kein Entwarnung für Löcknitz: Wir fordern den sofortigen Zuzugsstopp von Polen und die Schließung der Grenzen."
Ende des vergangenen Jahres haben die Löcknitzer Flugblätter in ihren Briefkästen gefunden: "Grenzen dicht". Mit Zitaten aus der Zeit erklären die Verfasser, dass die Polen nach Löcknitz kommen, weil es hier Kinder- und Wohngeld, Hartz IV und ein Babybegrüßungsgeld gibt, und dass Schulfahrten nur noch nach Polen stattfinden. Unsinn, meint die Mutter einer Achtklässlerin, "ich würde mir wünschen, dass die Klasse meiner Tochter endlich mal nach Stettin fahren würde". Das Mädchen lernt in der Europaschule Polnisch, aber in Polen war es bislang immer nur mit seinen Eltern.
"Ich habe die Mütter und Väter im Genick, die fürchten, dass ihre Kinder zu kurz kommen", erklärt Lothar Meistring. Er meint damit jene deutschen Kinder, die in der Grundschule neben Kindern sitzen, die kein oder nur wenig Deutsch sprechen. Die Lehrer würden sich immer nur um die polnischen Schüler kümmern, beschweren sich die Eltern. Seit diesem Schuljahr gibt es nun eine Zusatzlehrerin für einen Deutsch-Intensivkurs, noch bis zum Sommer. "Dafür habe ich fünf Jahre geackert", sagt Lothar Meistring. Dann winkt er ab: "Und die paar Rechten, die sind hier alle bekannt. Mit Namen und Adresse." Ungewöhnliche Worte für einen linken Bürgermeister. "Was kann ich schon ausrichten?", wehrt er ab, "soll ich mich mit drei anderen auf den Marktplatz stellen und Demo gegen rechts spielen?"
Heidrun Hiller ärgert sich über solche Ignoranz: "Löcknitz ist weit davon entfernt, ein rechter Standort zu sein. Aber wenn wir nicht aufpassen, kann das ganz schnell kippen." Sie ist sich sicher, dass viele Leute zu einer Anti-rechts-Demo kämen, wenn Meistring nur ausreichend Werbung dafür machen würde. "Der Bürgermeister hechelt den Problemen immer nur hinterher, anstatt sie konfrontativ anzugehen", meint Hiller.
Und es gibt ständig neue Probleme. Zum Beispiel, dass sich die neu zugezogenen Polen abschotten. Selbst Ella Steinhöfel, die Polin, findet keinen Zugang zu ihnen. Nina Yagami von der Ausbildungs- und Beschäftigungsgesellschaft inab im benachbarten Rothenklempenow hat versucht, einen Stammtisch einzurichten. Drei Mal im vergangenen halben Jahr hat man sich getroffen, es waren mehr Deutsche da als Polen. Sie haben über den Verkauf von Ländereien diskutiert und über das mangelnde Freizeitangebot für Jugendliche. "Aber das regelmäßig zu veranstalten, ist schwierig", sagt die Sinologin Yagami. "Die Leute hier sind nicht so offen." Mag sein.
Aber die Leute sind doch so offen, dass sie es nicht verwunderlich finden, dass einer der stadtbekannten Rechten Arbeit auf dem Bau gefunden hat: bei einem Polen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?