AntikeGriechische Sagen: einmal klassisch, einmal norddeutsch dargeboten: Herrlich rotzig
Als 1840 der dritte und letzte Band der „Sagen des klassischen Altertums“ erschien, hatte ihr Herausgeber Gustav Schwab bereits ganze Arbeit geleistet. Der Philologe und Theologe arbeitete sich für seine Nacherzählung der älteren griechischen Sagen, der Argonautensage, der Heraklessage, Odysseus und Äneas durch unzählige Versionen dieser Mythen, glich divergierende Inhalte ab und führte sie zusammen, las bei anderen Autoren nach und folgte ihnen.
Bei der Zusammenstellung des trojanischen Sagenzyklus – die im Hörbuch nun 9 CDs umfasst – füllte er, wie Sprachhistoriker Manfred Lemmer im Nachwort schreibt, „den dürren Bericht von den Begebenheiten“, die die spätlateinischen Prosaiker Dares und Diktys lieferten, mit „Elementen aus Dichtungen des Sophokles, Euripides, Horaz und Ovid“ auf. Dabei bemühte Schwab sich zwar, Sprachduktus und Stil der Vorlagen zu übernehmen, goss seine Versionen jedoch in eine allgemein verständliche, volkstümliche Sprache – die aus heutiger Sicht herrlich verschwurbelt tönt.
Der Schauspieler Matthias Ponnier frönt geradezu dieser altertümelnden Sprache und verdeutlicht mit seiner dennoch schlichten Lesung, dass Schwab gerade so die bisweilen recht abwegigen Abenteuer der Menschen, Halbgötter und Götter trefflich illustriert hat. Das Hören ist ein Genuss, der beim eigenen Lesen nicht so rund über die Zunge fließen würde.
Schwab sah sich als Vermittler klassischer Bildung – seine Wohnung in Stuttgart nutzte er als literarischen Salon, und er hielt literaturgeschichtliche Vorträge für junge Frauen – und tilgte die „erotische Unbekümmertheit der antiken Vorlagen“, um der Jugend keinen Anlass „weder zum Ausspinnen unedler Bilder noch zum Grübeln der Neugier“ zu geben.
Wie sich die Herangehensweise an klassische Bildungsvermittlung bis heute entwickelt hat, verdeutlicht der Vergleich der Schwab’schen Sagen mit den von Dimiter Inkiow herausragend für Kinder nacherzählten „Griechischen Sagen und Fabeln“ (Aesops Fabeln oder die Weisheit der Antike). Wo bei Schwab in der Sage „Io“, in der Zeus sich in die schöne Prinzession Io verliebt und sie in eine Kuh verwandelt, um die Liebelei vor seiner Gattin Hera zu vertuschen, die Grausamkeit im Fokus steht, die Io widerfährt, und die blumigen Sprache eine Reibung erzeugt, betont Inkiow in seiner Version, „Prinzessin Io, die schöne Kuh“, Zeus’ Mangel an Disziplin und lässt den Göttervater sehr menschlich erscheinen.
Der aus Flensburg stammende Peter Kaempfe untermauert diesen Eindruck in seiner Lesung. Er gibt jeder Figur eine eigene Stimme, der in Liebesdingen nimmersatte Zeus bekommt eine störrisch pubertierende Note. Mit dem norddeutschen Idiom verleiht Kaempfe seinem Vortrag eine gediegene Rotzigkeit, die mit den für Hörer*innen ab acht Jahren verständlichen Texten eine fesselnde Verbindung eingeht.
Ein Glossar ist bei Inkiow nicht nötig, weil die Funktion der Figuren in den Texten genannt wird. Bei Schwab ist diese Liste ausführlich und durch einen Stammbaum der Göttergeschlechter ergänzt. Eine Landkarte des antiken Griechenland hilft zudem bei der Verortung des Geschehens.
Sylvia Prahl
Gustav Schwab: „Sagen des klassischen Altertums“. der hörverlag, 23 CDs, ca. 26 h
Dimiter Inkiow: „Griechische Sagen und Fabeln“, Igel Records, 8 CDs, über 6 h
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