piwik no script img

Antifolterstelle kritisiert deutsche Knäste„Unhygienisch und ekelerregend“

Fehlende Intimsphäre und verdreckte Einrichtung: Die Anti-Folter-Stelle prangert die Haftbedingungen in deutschen Gefängnissen an. Besonders schlimm: Ein Knast in Berlin.

Man will gar nicht wissen, wie es hinter den Gittern aussieht. Bild: dapd

BERLIN taz | Zu kleine Gefängniszellen sind doppelt belegt. Weibliche Gefangene werden auf der Toilette von männlichem Personal per Video überwacht. Ein Haftraum ist „übersät mit toten Insekten“. Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter hat in ihrem Jahresbericht 2010/11 zahlreiche Missstände in deutschen Gefängnissen aufgelistet.

Die Behörde von Bund und Ländern in Wiesbaden prüft seit 2008 deutsche Gefängnisse, psychiatrische Kliniken, Abschiebeknäste und andere Arrestzellen von Polizei, Bundeswehr und Zoll. Sie kontrolliert, ob das Folterverbot eingehalten wird. Im aktuellen Bericht steht, sie habe „in mehreren Fällen Missstände festgestellt, die nicht akzeptiert werden können“.

Nach einer Inspektion in der Justizvollzugsanstalt Bernau am Chiemsee schrieben die Prüfer zum Beispiel, dass „eine erhebliche Anzahl der Einzelstellen“ doppelt belegt sind, mit zwei Gefangenen in einer Zelle von 8,3 Quadratmetern. Der besonders gesicherte Haftraum in der Jugendstrafanstalt in Berlin „befand sich zum Besuchszeitpunkt in einem unhygienischen, ekelerregenden Zustand: Die Schaumstoffmatratze wird ohne Überzug verwendet. Sie wies zahlreiche undefinierbare Flecken auf und war übersät mit toten Insekten. Die Toilette sowie der Trinkwasserspender waren völlig verdreckt.“

Und in mehreren Gefängnissen hat die Anti-Folter-Stelle Verletzungen der Intimsphäre beobachtet. So gebe es häufig keine Abtrennung zwischen Duschen. Und die Gefängnisangestellten beobachteten Häftlinge auf der Toilette, ohne dass die Bilder der Überwachungsmonitore verpixelt werden – selbst wenn das Personal männlich und die Gefangenen weiblich seien. Die Häftlinge selbst beschwerten sich häufig über das Essen, schreiben die Prüfer. Die Qualität der Verpflegung sei aber „allgemein hoch“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • R
    Rizo

    "Ein Haftraum ist „übersät mit toten Insekten“"

     

    "Die Toilette sowie der Trinkwasserspender waren völlig verdreckt."

     

    Für die Sauberkeit der Hafträume sind die Insassen verantwortlich - sie müssen sie selber putzen. Deswegen wird einem auch direkt Putzzeug ausgehändigt, wenn man ´ne Zelle zugewiesen bekommt.

     

    Kein Zimmerservice...echt unmenschlich!

  • HL
    Hartwig Lein

    Soso, der Haftraum war verdreckt und die Matratze voller toter Insekten? Traurig, traurig, soll denn da jeden Tag eine Putzkolonne anrücken?

    Was spricht dagegen, dass die Inhaftierten ihre Zellen selbst sauberhalten? Zeit genug haben sie dazu und das Putzmaterial stellt die JVA sicher gerne zur Verfügung.

  • M
    M.G.

    Tja, es gäbe eine recht einfache Lösung zumindest für das Platzproblem in deutschen Gefängnissen: Den Umgang mit Cannabis (tatsächlich und konsequent) zu entkriminalisieren. Am besten auch den Umgang mit anderen illegalisierten Drogen. Das würde die Anzahl der Gefangenen in Deutschland sicherlich um ein gutes Drittel verringern und würde ein deutliches Bekenntnis zu den Menschenrechten darstellen.

    Aber damit braucht man den Verantwortlichen natürlich nicht zu kommen, das würde ja tatsächlich mal etwas zum Guten verändern, sowas kann man natürlich nicht machen...

  • S
    Siggi

    Unverschämt !

    Dies Zustände nehmen ja Überhand.

    Fast die gleichen Zustände kann man Jahr für Jahr in Ferienhotels in der Türkei, Spanien und Italien, ganz zu schweigen von Griechenland, beobachten.

    Nur, das Essen ist in diesen Ländern meist nicht so gut und kann sehr wohl bemängelt werden.

    Gut, eine freieinsehbare Toilette habe ich lange nicht mehr gesehen.

  • S
    SubZero

    "So gebe es häufig keine Abtrennung zwischen Duschen"

     

    auf diese Art wird auch in deutschen Jugendherbergen und in den Duschräumen der meisten Sportplätze gefoltert.

     

    Der Bericht ist lächerlich. Eine dreckige Matratze und ein stinkendes Klo sind unangenehm aber längst noch kein Grund für Begriffe wie Folter und Menschenunwürdig.

  • TP
    Tim P.

    "Und die Gefängnisangestellten beobachteten Häftlinge auf der Toilette, ohne dass die Bilder der Überwachungsmonitore verpixelt werden – selbst wenn das Personal männlich und die Gefangenen weiblich seien."

     

    Wie sieht es eigentlich im umgekehrten Fall aus? Nach meinen Erfahrungen bei der Musterung vermute ich, Männern wird man das einfach zumuten und das auch noch ganz normal finden. Wäre schön wenn die TAZ da mal nachgehakt hätte.

  • JR
    Josef Riga

    Gefängnisse sollen auch keine Erholung sein!