piwik no script img

Antifaschistische Fleurop-Aktion

Zweimal rote Rosen im Europaparlament: Als Protest gegen die Rechtsextremen und für den neuen Parlamentspräsidenten  ■  Aus Straßburg Th. Scheuer

Der neue Präsident des Europäischen Parlamentes - mögen seine Taten halten, was die Attribute versprechen - ist Sozialist, Spanier, mehrsprachig und zudem ausgesprochen jung: Zum Auftakt seiner konstituierenden Sitzung wählte das im Juni neu gewählte EP am Dienstag den 45jährigen Enrique Carlos Baron Crespo zum Präsidenten. Gleich im ersten Wahlgang erhielt Baron 301 von 475 gültigen Stimmen. Nach entsprechendem Gekungel zwischen den beiden großen Fraktionen der Sozialisten und Christdemokraten war die Wahl des „roten Barons“ (Fraktionsspitzname) im voraus gesichert. Auch die beiden kommunistischen Fraktionen unterstützten Baron. Einige symbolische Gegenkandidaten erhielten jeweils gerade die Stimmen ihrer eigenen Grüppchen: Die portugiesische Fraktionschefin der Grünen, Maria Santos, 31; der französische Rechtsextreme Jean-Marie Le Pen, gerade 18; lediglich der deutsche FDP-Mann Rüdiger von Wechmar sammelte immerhin 93 Stimmen. In seiner Antrittsrede bezeichnete Enrique Baron die parlamentarische Demokratie als das gemeinsame Haus Europas. In diesem Sinne seien die jüngsten Wahlen in Polen, Ungarn und der Sowjetunion Zeichen einer erfreulichen Entwicklung. Daß der Spanier auch daran erinnerte, daß das alte Europa in der Welt nicht zuletzt „als Kolonialmacht expandierte“, hob sich erfreulich von der sonst in diesem Hause gepflegten Europatümelei ab. Von den Genossen erhielt Baron einen dicken Strauß roter Rosen.

Kurz zuvor hatten die Sozis schon mal mit dem Gewächs hantiert. Die konstituierende Sitzung hatte nämlich mit einer antifaschistischen Fleurop-Aktion begonnen: Als der 88jährige französische Regisseur Claude Autant-Lara als Alterspräsident das Wort ergriff, verließ die mit 180 Mitgliedern stärkste Fraktion der Sozialisten geschlossen den Plenarsaal. Kommunisten, Unabhängige und Liberale folgten. Als Zeichen ihres Protestes und zum Gedenken an die Opfer des Faschismus steckte an jedem Pult der Sozis eine große rote Rose. Die Grünen hielten Autant-Lara ein Plakat mit der Aufschrift „Nie wieder Faschismus“ entgegen. Der 30minütige Erguß des greisen Le-Pen-Getreuen erwies sich dann, selbst durch die Blume gesprochen, als ein völlig abstruser Mix aus Hollywood-Anekdoten (Buster Keaton etwa erinnere ihn sehr an den EG-Kommissionspräsidenten Delors) und Appellen zur Errettung „unserer großartigen europäischen Kultur“. Als Zeichen des Verfalls wertete er mal die Verbreitung „des Englischen“, mal die angebliche Tatsache, „daß heute fast alle französischen Kühlschränke in Ungarn hergestellt“ würden. Unter Verweis auf die Würde des Parlaments und das Recht der freien Rede hatten die Christdemokraten zunächst, wenn auch nicht vollzählig, Platz behalten. Erst als der Stammtisch-Philosoph feststellte, der europäischen Kultur drohe keine Gefahr durch die Sowjetunion, und demgegenüber die USA und deren Geheimdienst CIA als Quelle allen Unheils geißelte, trieb es auch die empörten Christdemokraten mit Verspätung aus dem Saal. Am Nachmittag setzte das Parlament mit dem Gerangel um die Sessel der Vizepräsidenten und Ausschußvorsitze seine Arbeit fort.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen