Antifaschismus: Der Wedding hat sich viel vorgenommen
Mit einer Kundgebung gründet sich das "Bündnis Mitte gegen Rechtsextremismus". Ziele: Blockaden rechter Aufmärsche, ein Filmprojekt über Menschen im Kiez, Solidarität mit Opfern rechter Gewalt.
Im Wedding hat sich am Samstag das "Bündnis Berlin Mitte gegen Rechtsextremismus" gegründet. Zwar wirkten die rund 200 BürgerInnen bei der Kundgebung auf dem weitläufigen Rathausplatz etwas verloren. Doch Bündnis-Sprecher Lars Bucklitsch war angesichts der kurzen Zeitspanne, innerhalb deren sich die verschiedenen Gruppen organisiert hatten, zufrieden: "Wir wollen diesen Nazis gemeinsam zeigen, dass wir ihre Hetze nicht dulden und dafür war die Zusammenkunft heute ein erster wichtiger Schritt", so Bucklitsch.
Nach mehreren Übergriffen durch Rechtsextreme in Mitte wollten sich rund 20 Gruppen - darunter Gewerkschafter, Antifas, Jusos, die Menschenrechtsorganisation CODE und die Türkische Gesellschaft - zu einem Bündnis zusammenschließen. Alle in der Bezirksverordnetenversammlung von Mitte vertretenen Fraktionen wollen die Initiative unterstützen. Deren Tätigkeiten sollen über gängige Aktionsformen wie Demonstrationen, Informationsveranstaltungen oder Flyer-Verteilen hinausgehen: "Das Recht, den Nazis mit ganz praktischen Mitteln entgegen zu treten, werden wir uns nicht nehmen lassen", kündigte Bucklitsch auch die Blockade von rechtsextremen Aufmärschen an. Eine Woche zuvor waren 750 Nazis unter anderem durch Mitte marschiert, Gegendemonstranten scheiterten auch mangels genügender Teilnehmer mit ihrem Versuch, dies zu verhindern.
Bei der Kundgebung riefen mehrere RednerInnen dazu auf, sich lauthals in öffentliche Debatten einzumischen. Hajo Funke, Politikwissenschaft-Dozent an der Freien Universität, sagte in seinem Redebeitrag: "Es ist notwendig, in der U-Bahn und sonstwo fremdenfeindliche Stammtischsprüche sofort zu kontern, erst recht, wenn sie aus einem Teil der angeblichen Elite kommen wie zuletzt von Thilo Sarrazin." Berlins ehemaliger Finanzsenator und heutiger Bundesbankvorstand war Zielscheibe heftiger Kritik von verschiedenen Rednern. Er hatte in einem Interview türkischen und arabischen Migranten vorgeworfen, sie hätten "keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel" und produzierten "ständig neue kleine Kopftuchmädchen".
Solchen Aussagen will das neue Bündnis kulturelle Projekte entgegensetzen, die das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft im Bezirk Mitte widerspiegeln. "Ich habe schon das Drehbuch für einen Film mit und über Menschen aus dem Wedding in der Schublade liegen, den wollen wir gemeinsam realisieren", verkündete etwa der iranische Filmemacher Parvis Valavioun, der seit über 14 Jahren am U-Bahnhof Rehberge wohnt, gegenüber der taz.
Genau dort hatten im September vier Neonazis zwei iranische Passanten mit einem Teleskopschlagstock sowie Fußtritten brutal angegriffen. Drei der Täter sitzen derzeit in Untersuchungshaft, gegen einen vierten wurde der Haftbefehl gegen Auflagen ausgesetzt. "Wir haben mit unserer Mobilisierung bewirkt, dass wegen diesem Verbrechen ein Prozess wegen versuchten Mordes angestrengt wird", erinnerte Funke, der mit den Opfern befreundet ist, an eine Demonstration kurz nach dem Überfall. Solidarität mit von rechtsextremen Attacken Betroffenen sei deshalb ein zentrales Anliegen des neuen Bündnisses.
Dass dies nötig ist, daran zweifelt auch nicht der Bezirksbürgermeister von Mitte, Christian Hanke (SPD). Er erinnerte an die Verunglimpfung der Vorsitzenden des Deutsch-Togoischen Freundeskreises, Assibi Wartenberg: Auf rechtsextremen Internetseiten wird sie als "Haupträdelsführerin bei den Hetzkampagnen gegen alte Berliner Straßennamen" geschmäht. Wartenberg, Mitorganisatorin des Weddinger Afrika-Festes, setzt sich für die Umbenennung von drei Straßen im Afrikanischen Viertel in Wedding ein, die die Namen deutscher Kolonialisten aus dem 19. Jahrhundert tragen. Unter einem Bild von ihr auf Nazi-Seiten heißt es weiter: "Die nahe Verwandtschaft zum direkten Vorfahren des Menschen ist bei ihr doch unverkennbar." Derartiges werde der Bezirk nicht länger dulden, sagte Hanke. Es sei wichtig, öffentlich zu sagen: "Den Nazis nicht einmal einen Zentimeter in unserem Bezirk!"
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