Antifa vor Gericht: Dürftige Beweislage
Prozessbeginn gegen jungen Antifaschisten, der zwei Neonazis verletzt haben soll. Er hatte früher gegen die beiden ausgesagt.
"Im Zweifel für den Angeklagten", lautet ein ungeschriebener Grundsatz der deutschen Rechtsprechung. An der Schuld von Matthias Z. gibt es große Zweifel. Morgen beginnt der Prozess gegen den 22-Jährigen. Ihm wird vorgeworfen, zwei Neonazis angegriffen zu haben. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft. Einziges Beweismittel: die Aussage von zwei stadtbekannten Rechtsextremen.
"Trotz intensiver Ermittlungen gibt es keine objektiven Beweismittel gegen meinen Mandanten", sagte Rechtsanwalt Daniel Wölky gestern auf einer Pressekonferenz. "Wir sind von Matthias Unschuld überzeugt", fügte Silke Leuckfeld vom Ver.di-Landesbezirksvorstand hinzu. Mehr als zehn unabhängige Prozessbeobachter haben sich angekündigt, etwa die stellvertretende Vorsitzende der Linke-Bundestagsfraktion, Gesine Lötzsch, und der Berliner Abgeordnete Lars Oberg. Antifas rufen zu einer Solidaritätskundgebung vor dem Amtsgericht Tiergarten auf.
Der Angeklagte kommt aus Friedrichshain. Er ist Gewerkschafter, berät ehrenamtlich Opfer rechter Gewalt und betreut behinderte Jugendliche auf Ausflügen. Er bezeichnet sich als Antifaschisten, Freunde nennen ihn Matti. Angefangen hat alles im November 2006, als drei Vermummte die Rechtsextremen Stefanie P. und Sebastian Z. im S-Bahnhof Lichtenberg verprügelten. Noch in derselben Nacht gingen beide mit einem Foto von Matti zur Polizei und gaben an, ihn trotz Vermummung unter den Angreifern erkannt zu haben. Zwei Wochen später stürmten Beamte Mattis Wohnung und nahmen ihn fest. Tatvorwurf: versuchter Totschlag. 101 Tage saß er in U-Haft, erst nach Protesten von Ver.di, Jusos, Grünen und der Linken wurde die Anklage Ende März auf "gefährliche Körperverletzung" herabgestuft. Gegen 10.000 Euro Kaution kam Matti vorerst frei. Besonders brisant an den Anschuldigungen: Die Neonazis kennen Matti genau. Er war Belastungszeuge in einem Prozess gegen die beiden Geschädigten. Sie standen wegen des Angriffs auf einen Infotisch der Linken vor Gericht.
"Wir müssen immer öfter feststellen, dass Rechte versuchen, ihre Gegner in jeglicher Form anzugehen - indem sie sie verklagen oder tätlich angreifen", sagt Silke Leuckfeld. Die Solidaritätsgruppe für Matti geht davon aus, dass das besagte Foto aus einer "Anti-Antifa-Kartei" stammt. Seit Jahren sammelt die rechte Szene Fotos und Adressen von Gegnern - nicht nur Antifas, sondern auch Journalisten, Politikern oder Gewerkschaftern. Der Grünen-Abgeordnete Benedikt Lux kritisiert in diesem Zusammenhang die Polizei: "Das Vorgehen der Ermittlungsbehörden ist eine Einladung an alle Neonazis, mit ihren Fotoalben vorbeizukommen und eine Aussage zu machen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!