Anti-Pädophilie-Programm der Charité: Den fatalen Trieb einhegen

In Deutschland leben bis zu 180.000 pädophile Männer. Die Berliner Charité startet nun eine freiwillige Behandlung.

Die Berliner Charité hat eine Anlaufstelle im Internet eingerichtet: www.kein-taeter-werden.de. Bild: Screenshot

Es ist ein heikles Feld. Schließlich haben gut die Hälfte der Pädophilen, die an der Berliner Charité freiwillig und anonym eine Therapie beginnen, von sexuellen Übergriffen in der Vergangenheit berichtet. Die Therapeuten des renommierten Präventionsprojektes stehen dabei "unter Schweigepflicht", betont Institutsdirektor Klaus Beier. Und die Schweigepflicht gilt auch jetzt, wenn das neue Behandlungsangebot für Männer, die Kinderpornografie nutzen, beginnt.

Wer Kinderpornografie anschaut, abspeichert, sammelt und tauscht und diesen Konsum einschränken möchte, der kann sich ab sofort beim Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Charité melden und dort in Therapie begeben. (www.kein-taeter-werden.de). Die Erkenntnisse des Instituts hätten gezeigt, dass Nutzer von Kinderpornografie häufig eine pädophile Neigung aufwiesen, erklärte Beier. Der Begriff "Pornografie" sei dabei schon eine Verharmlosung, denn wer dieses Material konsumiere, der "schaut bei sexuellem Missbrauch zu". Man müsse überdies annehmen, dass die Befassung mit Kinderpornografie die Schwelle senke, selbst Übergriffe zu begehen.

Beier und seine Mitarbeiter bieten schon seit vier Jahren Hilfe an für Männer, die sich sexuell zu Kindern und vorpubertären Jugendlichen hingezogen fühlen. Die Anlaufstelle ist damit bundesweit einzigartig, nur in Schleswig-Holstein gibt es inzwischen ein ähnliches Hilfsangebot. Rund 1.000 Männer hätten sich in den vier Jahren gemeldet, rund 200 davon begannen eine Therapie. Dass nur so wenige Hilfesuchende in eine Behandlung kommen, hätte schlichtweg damit zu tun, dass die Betroffenen weit weg von Berlin wohnten, sagte Projektkoordinatorin und Psychotherapeutin Janina Neutze der taz.

Gegen die Männer darf aktuell kein Justizverfahren laufen. Die Klienten kommen in der Regel einmal wöchentlich zu einer dreistündigen Gruppentherapie und nach 50 Sitzung noch allmonatlich zur Nachsorge. In der Therapie lernen die Männer, ihre sexuellen Impulse in bestimmten Situationen genauer zu beobachten und zu kontrollieren. In Rollenspielen fühlten sie sich in die Situation der Opfer ein, berichtet Neutze. Ein Drittel der Behandelten nimmt Medikamente, um sexuelle Impulse zu dämpfen.

In bis zu 80 Prozent der Fälle, also einer erstaunlichen hohen Zahl, sind enge Bezugspersonen über die fatale Neigung informiert. "Die Konflikte der Ehefrauen darf man nicht unterschätzen", schildert Neutze. In den meisten Fällen richte sich die pädophile Neigung von Vätern aber nicht unmittelbar gegen die eigenen Töchter oder Söhne.

Bekommen die Therapeuten während der Behandlung mit, dass der Klient möglicherweise kurz davor steht, übergriffig zu werden, dann werden konkrete Gegenmaßnahmen verabredet "bis hin zur Medikamentengabe", schildert Neutze. Die Schweigepflicht aber gelte immer, betonte Institutsdirektor Beier, "sonst wäre das Präventionsprojekt tot".

Nach Einschätzung des Instituts entwickelt sich die pädophile Neigung im Jugendalter und bleibt dann ein Leben lang. In Deutschland lebten schätzungsweise etwa 160.000 bis 180.000 pädophile Männer, erklärte Barbara Schiefer-Wiegand, Vorsitzende der Kinderschutzstiftung Hänsel + Gretel. Sie forderte bundesweit mehr Anlaufstellen. Das neue Projekt, in dessen Rahmen TV- und Kinowerbespots die Nutzer von Kinderpornografie gezielt ansprechen, wird vom Bundesfamilienministerium und "Hänsel und Gretel" unterstützt.

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