Anti-Korruptions-Richterin Eva Joly: "Unsere Firmen schmieren Afrika"
Die französische Grünen-Politikerin und Richterin Eva Joly spricht über korruptes Geld in internationalen Konzernen. Noch bedeutsamer als Schmiergeld seien intransparente Geldflüsse, sagt sie.
taz: Frau Joly, Sie wurden in den Neunzigerjahren als Untersuchungsrichterin gegen korrupte Geschäfte des französischen Ölmultis Elf berühmt. Jetzt sitzen Sie für die französischen Grünen im Europaparlament und sind Präsidentin des Ausschusses für Entwicklungspolitik. Warum ist Korruption für Sie ein so wichtiges Thema?
Eva Joly: Der Kampf gegen Korruption ist immer noch wichtig. Korruption verhindert das Entstehen funktionierender Institutionen, weil sie verhindert, dass Staatseinnahmen da landen, wo sie hingehören. Insofern bleibt das zentral.
So zentral, dass sich alles andere davon ableitet?
65, ist Juristin und seit diesem Sommer Europaabgeornete der französischen Grünen. Die gebürtige Norwegerin, die seit ihrem 18. Lebensjahr in Paris lebt, wurde bekannt, als sie in den Neunzigerjahren als Untersuchungsrichterin den größten europäischen Korruptionsskandal in der Geschichte, die Elf-Aquitaine-Schmiergeldaffäre aufdeckte.
Nein. Ich habe im Laufe der Zeit begriffen, dass Korruption nur ein kleiner Teil eines größeren Ganzen ist. Das Problem der Entwicklungsländer ist nicht nur Korruption, sondern die Gesamtheit der illegalen Geldflüsse. Die Summen, die von multinationalen Unternehmen verschoben werden, sind viel größer als die, die für Korruptionszahlungen verwendet werden. Viele Multis zahlen in afrikanischen Ländern wenig oder gar keine keine Steuern, und es gibt darüber kaum Transparenz. Das ist für mich heute am wichtigsten.
Können Sie konkrete Fälle benennen?
Nehmen Sie die Logistik- und Transportfirma Bolloré …
… deren Chef Vincent Bolloré ein Freund des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy ist …
Richtig. Was hinterlässt diese Firma in Ländern wie Gabun, wie Kamerun? Wo zahlt sie ihre Steuern? Werden alle Profite vielleicht in Luxemburg angegeben? Es ist interessant, welche Verwendung multinationale Unternehmen für Steuerparadiese haben.
Wozu muss man das wissen?
Wenn die Bürger Gabuns das erfahren, können sie Fragen stellen und Auskunft von ihrer Regierung verlangen. Wenn alle in Afrika tätigen Multis die von ihnen gezahlten Steuern und Abgaben veröffentlichen würden, könnte jeder Bürger die Zahlen nachrechnen und beispielsweise überprüfen, ob die genannten Zahlungen mit den von der Regierung im Staatshaushalt geltend gemachten Einnahmen übereinstimmen. Diese Art von Transparenz kostet nichts. Man kann sie per Gesetz einführen oder durch freiwillige Initiativen wie EITI, die "Extractive Industries Transparency Initiative". Das wäre ein praktischer Schritt gegen Korruption.
Die Rohstoffindustrie zahlt doch Steuern, und manche machen das auch öffentlich. So wollte British Petroleum veröffentlichen, was es in Angola für Steuern zahlt, aber die angolanische Regierung hat das verhindert.
Ja, Angolas Regierung hat gesagt, das wäre eine Vertragsverletzung, und mit Sanktionen gedroht. Ich glaube deswegen, dass wir an gesetzlichen Regelungen nicht vorbeikommen. Unternehmen müssen verpflichtet werden, ihre Zahlungen an Regierungen zu veröffentlichen. Das ist seit Jahren eine Forderung zivilgesellschaftlicher Gruppen.
Steht da Europa in der Pflicht?
Europa zusammen mit den USA. Und mir scheint, als würden die USA über eine entsprechende Gesetzesinitiative nachdenken. In einem Jahr oder zwei wird das auf die Tagesordnung kommen.
Sie nennen lauter Beispiele aus Afrika. Ist Korruption in Afrika schlimmer als anderswo?
Sie hat größere Auswirkungen auf den Alltag der Menschen. Wenn Sie in Kamerun leben, müssen Sie für jede öffentliche Dienstleistung zahlen. Ins Krankenhaus zu gehen, kostet Geld. Nach einer Operation ein Bett zu kriegen, kostet Geld. Die Menschen haben dieses Geld nicht.
Und in Europa?
In Europa ist das anders, wir haben Zugang zu Dienstleistungen ohne Korruption. Die Vergleichbarkeit besteht in der gemeinsamen Verantwortung. Unsere Unternehmen sind aktive Teilhaber der Korruption. Für Korruption braucht man jemanden, der schmiert, und jemanden, der geschmiert wird. Afrikanische Länder werden geschmiert, unsere Unternehmen schmieren.
Kann das EU-Parlament überhaupt etwas tun? Die letzte Initiative hierzu ist gescheitert. Ihre Kommission hat einstimmige Forderungen an die G-20-Staaten über die Hilfe für die ärmsten Länder gerichtet, zum Beispiel Kampf gegen Steuerhinterziehung und gesetzliche Regelungen für Transparenz bei Steuerzahlungen, aber das wurde nicht aufgegriffen.
Ja, aber dieser Beschluss war mir trotzdem sehr wichtig. Er zeigte, dass das Europaparlament Initiativen ergreifen kann, und ich war sehr stolz darauf, dass der Beschluss einstimmig erfolgte.
Und warum hat es dann nicht geklappt?
Weil die übrigen Fraktionen dann gegen die Stimmen der Grünen und der Vereinigten Linken beschlossen, diese Resolution nicht vor dem G-20-Gipfel von Pittsburgh im September auf die Tagesordnung zu setzen, sondern erst im Oktober. Was hat es für einen Sinn, über Forderungen an einen G-20-Gipfel zu diskutieren, nachdem der Gipfel stattgefunden hat?
Sie haben der französischen Bank BNP Paribas vorgeworfen, in Steuerparadiesen präsent zu sein und zu ermöglichen, dass gewisse Staatschefs die Öleinnahmen ihrer Länder in Steuerparadiesen verstecken. Ist das noch immer so?
Das weiß ich nicht. Die Bank hat auf eine entsprechende Frage nicht geantwortet. Ich bin wie jede Bürgerin, ich habe keine privilegierte Beobachterposition. Aber alles deutet darauf hin, dass es keine Veränderung gegeben hat.
Wieso sagen Sie das?
Nach öffentlich zugänglichen Angaben hat Paribas 182 Filialen in Steuerparadiesen. Die Ölgeschäfte der BNP in Afrika wurden vom Journalisten Xavier Harel aufgedeckt, und er wurde nicht verklagt. Wer das liest, wird nicht mehr glauben können, dass Paribas nicht gewusst hat, wie sich die Staatschefs von Kongo-Brazzaville und der Demokratischen Republik Kongo auf diese Weise bereichern.
Sind weitere Banken beteiligt?
Ja. Das weiß ich durch meine Untersuchungen. Ich weiß von früher, dass Banken ihren Namen einsetzen, um informelle Geschäfte zu machen. Sie verleihen ihren Namen und es werden Verträge in ihrem Namen gemacht. Schon im Fall Elf habe ich gesehen, wie Banknamen eingesetzt wurden, um die wahre Herkunft von Geld zu verschleiern.
Welche Rolle kommt den Banken denn zu?
Angola zum Beispiel nahm offiziell Hochzinskredite bei einer Bank auf. In Wahrheit aber hatte Elf das Geld zur Verfügung gestellt - zu niedrigeren Zinsen, und die Zinsdifferenz war der Profit des Geschäfts. Angolas Volk zahlt jetzt die hohen Zinsen ab, an eine Bank als fiktiven Kreditgeber, während in Wirklichkeit weniger fällig ist und die Differenz zwischen Bankzins und Elf-Zins in Offshore-Gesellschaften in Steuerparadiesen landet und von dort aus verteilt wird. Das war nicht BNP, sondern eine kanadische Bank. Ich glaube nicht, dass dies der einzige solche Fall ist.
Was sind Ihre sonstigen Prioritäten als Kommissionspräsidentin?
Am wichtigsten ist die Auswirkung der Weltwirtschaftskrise auf die Entwicklungsländer und deren Mangel an Mitteln, um diesen Auswirkungen zu begegnen. Das ist sehr beunruhigend, und das Schweigen dazu ebenfalls. Wir haben auf EU-Ebene keine Mittel für die Entwicklungsländer, wir haben keine Mittel zum Kampf gegen den Klimawandel, wir werden die UN-Millenniumsziele zur Halbierung der weltweiten Armut bis 2015 verpassen. Die Krise wirft uns zurück. Abermillionen von Menschen zusätzlich landen unter der Armutsgrenze.
Was beunruhigt Sie am meisten?
Das Missverhältnis zwischen der Größe der Probleme und dem Umfang der Mittel, die für ihre Lösung bereitstehen. Deswegen fordern wir eine Devisentransaktionssteuer, die Tobinsteuer, aus der die benötigten Mittel finanziert werden könnten. Denn die bestehenden internationalen Institutionen sind nicht in der Lage, den Ärmsten zu helfen.
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