Anti-Hartz-Aktionen : Der bunte Protest ist verständlich
18 Uhr, Rotes Rathaus. Wo sich vor Monaten noch tausende Berliner versammelten, um gegen Hartz IV zu demonstrieren, wird heute Abend lediglich Glühwein an Passanten verkauft. Die großen Montagsdemonstrationen sind passé. Dafür greifen jetzt die Aktivisten zu dem Mittel, das in einer Mediengesellschaft Aufmerksamkeit verspricht: der spektakulären Aktion. Wer Gästen von Nobelrestaurants den Hummer vom Teller klaut, darf mit Schlagzeilen rechnen. Und möglicherweise sogar mit klammheimlicher Freude von Hartz-IV-Betroffenen.
KOMMENTAR VON RICHARD ROTHER
Sicher, eine spektakuläre Aktion in einem Luxusrestaurant ist willkürlich, auch werden Regeln und Gesetze übertreten. Aber sie zeigt auch, wie groß die Wut mancher Betroffener ist, die sich nicht mit 345 Euro im Monat abspeisen lassen wollen – während die Einkommen der Wohlhabenden in diesem Land weiter wachsen. Die Reichen werden reicher, und immer mehr Menschen verarmen – dass dies Protest hervorruft, ist verständlich.
Dennoch hat die Anti-Hartz-Bewegung ihren Zenit überschritten, daran ändern auch spektakuläre Aktionen nichts. Sie scheinen eher ein (vorerst) letztes Aufbäumen der Aktivisten zu sein. Hartz IV wird in Kraft treten, auch wenn es Anfang Januar Demonstrationen und Blockaden gibt.
Der Grund ist einfach: Zwar wurden die Montagsdemos im Spätsommer überraschenderweise immer größer. Letztlich waren sie aber nicht groß genug, als dass die ganz große Hartz-Koalition aus SPD, Grünen, CDU und FDP sie nicht hätte weiter ignorieren können – und zur Reform der Reform gezwungen worden wäre. Über die Gründe – mangelnde Unterstützung der Gewerkschaften, Distanz zu Betroffenen – mögen sich die Aktivisten nun den Kopf zerbrechen.