Anti-Ergebnisfußballer Bayern München: Die Verteidiger des Schönen
Ausgerechnet Bayern München geht am Samstag als Vertreter des guten, schönen Fußballs ins Champions-League-Finale gegen Inter Mailand. Kommt es zur historischen Versöhnung?
Ein Tor zum Niederknien. Robben chippt, Lahm flankt von rechts nach links, Ribery flippt den Ball wie eine Billardkugel zurück in die Mitte, und Müller köpft ihn rein. Es war nicht bloß eins von vier Toren beim Sieg über den VfL Bochum, mit dem der FC Bayern München am 33. Spieltag die deutsche Fußballmeisterschaft klarmachte - es war eine inhaltliche und künstlerische Begründung für den Titel, wie man sie von den Bayern zuvor nie bekommen hat und nicht erwarten durfte. Aus der Ordnung, als Folge der Strategie, durch individuelle Klasse im Kollektiv zum Erfolg. Sapperlott.
Beim Sieg über Werder Bremen im Pokalfinale wiederholte sich die Sache. Statt ein 2:0 zu verwalten, legten die Bayern gegen müde gespielte Bremer zwei grandiose Kontertore drauf. Aus Begeisterung am Spiel? Letzteres hat es zuvor nie gegeben. Auch nicht zu den goldenen Zeiten des Ausnahmefußballers Franz Beckenbauer, der entgegen aller Fama stets ein Vertreter des Fußball-Pragmatismus war.
Bayerns Last-Minute-Niederlage im Champions-League-Finale 1999 wird ja von interessierten Kreisen als Monumental-Tragödie beschworen. Dabei war es nur der Lohn für den Versuch, ein 1:0 über weite Teile des Spiels zu verwalten. Den letzten Champions-League-Erfolg von 2001 übertünchten Kahn und Effenberg mit einer damals schon absurden Parodie auf die sogenannten deutschen Tugenden; das Kerngeschäft war dröger Effizienzfußball. Sein prägnantestes Mittel, der Flugball aus dem Halbfeld durch Willy Sagnol, war eine inhaltliche Zumutung sondergleichen.
Nun hat sich parallel zur Ökonomisierung des Lebens in breiten Bereichen der Gesellschaft die Akzeptanz des Ergebnisfußballs durchgesetzt. Selbst das trübste 0:0 beim 1. FC Köln wird als "Punktgewinn" und womöglich mit Verweis auf die Arbeitsplätze der Geschäftsstellenmitarbeiter gerechtfertigt. Selbstverständlich gibt es viele Arten, Fußball zu denken und zu konsumieren. Doch sein reinster Wert ist und bleibt das Erlebnis des Spiels im Stadion. Womit sich vor dem heutigen Finale eine einzigartige Situation ergibt: Die Bayern können in der ersten Saison ihres niederländischen Trainers Louis van Gaal nicht nur als erstes deutsches Team das sogenannte Triple gewinnen, bestehend aus Meisterschaft, Pokal und CL-Sieg. Viel interessanter: Sie könnten sich bei entsprechendem Spiel und Ausgang völlig neu positionieren - als die Verteidiger des Schönen und des Guten. Wenn sie dieses Gute tatsächlich durchsetzen gegen den Lord Voldemort des Fußballs - José Mourinho.
Dieser Text stammt aus der sonntaz vom 22. Mai 2010 http://www.taz.de/sonntaz- zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.
Was ist das Gute? Nach einer Phase der Verwirrung, in der schneller, ballkontaktreduzierter Konterfußball, wie ihn Klinsmann, Klopp, Rangnick und Magath präferieren, als die alleinige Zukunft des Fußballs galt, ist das Gute im Spitzenfußball inzwischen weitgehend bedeutungsgleich mit dem FC Barcelona und seinem Kurzpass-Fußball. Und, war es nicht schön? Zuletzt siegte immer das Gute. Bis Mourinho mit seinen Dementoren von Inter Mailand daherkam und Barça im Halbfinale die Seele aushauchte. Mourinho ließ Barça passen und passen, verschob aber seine Profis in Defensivdreiecken so akkurat, dass die Lücke sich nie auftat. Poppiger gesagt: Barça wollte das Schöne durchsetzen, Mourinho zerstörte es. Sicher hat Italiens Spielkultur und speziell Inter Mailand eine Tradition des zynischen Erfolgsfußballs, aber Mourinho ist kein Epigone oder Traditionalist: Er ist sein eigener Gott und formt seine Welt komplett nach seiner Vorstellung.
Somit hat der FC Bayern jetzt eine Chance, die nicht einmal Präsident Uli Hoeneß hat kommen sehen. Statt eines mühsamen Rückkehrprojekts in die engere Spitze des europäischen Fußballs wurde man durch eine Addierung verschiedener Faktoren in kürzester Zeit nach oben katapultiert. Jahrelang schien das Hoeneß-Prinzip des nachhaltigen Wirtschaftens ein national funktionierender Traditionalismus zu sein, aber hoffnungslos anachronistisch in einer von Milliardären und Spekulanten dominierten internationalen Fußballwirtschaft. Das stellt sich jetzt nicht komplett, aber doch etwas anders dar, da einige global operierende Weltfußballkonzerne in Schwierigkeiten sind.
Achtung, Symbolik: Ist Nachhaltigkeit nicht der Weg der Menschheit in die Zukunft? Auf jeden Fall. Im Gegensatz zu dieser Prämisse hat Louis van Gaal allerdings den Bayern binnen kürzester Zeit riesige Renditen gebracht, gleiches gilt für Felix Magath und Schalke, Carlo Ancelotti und Chelsea und auch noch für Mourinho, der bei Inter gerade mal im zweiten Jahr ist. Christian Eichler hat in der FAZ darauf hingewiesen, dass 2010 somit eben nicht das Jahr des Nachhaltigkeitsprinzips sei, sondern ironischerweise das Jahr der Trainer, die die schnelle und riesige Rendite bringen. Noch kann keiner sagen, ob und wo es sich um kurzfristigen Gewinn handelt, dem die Sintflut folgt.
Was Louis van Gaal betrifft, so hat man eine populärere Inszenierung eines Volkstribunen in Lederhosenuniform selten erlebt. Aber auch Caesar bereitete seine Welteroberungs-Jahre ja als Volkstribun vor - allerdings nicht vom Münchner Rathausbalkon aus. Van Gaal ist derzeit der populärste Niederländer in Deutschland seit Jahren, was zum einen daran liegt, dass der Zweite Weltkrieg 65 Jahre her ist. Zum anderen, dass er fast anachronistisch deutsch wirkt. Mancher kriegt einen wohligen Grusel, weil van Gaals Töchter den Vater siezen müssen. Aber dass er den Italiener Luca Toni zusammenschiss (und dann wegschickte), weil der nicht aufrecht bei Tisch saß, das hat eindeutig was von (mindestens) Helmut Schmidt. Van Gaal hat ganz am Anfang seiner Bayern-Zeit - ironisch eingepackt, selbstverständlich - schon offen gesagt, dass er sich für Gott hält. Damals musste er das noch widerrufen. Da ist er ganz bei Mourinho - oder der bei ihm. Schließlich hat er bei Barça als Ballaufpumper van Gaals angefangen.
Die Differenz der beiden liegt in ihrem Fußballverständnis. Van Gaal will dominieren, aber eben auch kreieren. Es ist ein hierarchieflacher Fußball, der den Gegner durch lange Ballstafetten mürbe spielen will und in dem jeder Spieler ähnliche Rechte hat, nicht nur van Gaal zu gehorchen, sondern seine Individualität aus der Ordnung heraus einzubringen. So was hört sich stets etwas geschwollen an, aber selbst der maximale Individualist Arjen Robben scheint davon überzeugt zu sein.
Van Gaals Fußball-Brand ist ein zeitgemäßes, konservatives Update des niederländischen "totaal voetbal", kein 4-3-3 mehr, strenger und kontrollierter als das Original, etwas spanisch und auf eine Art auch preußisch, was vielleicht darauf zurückzuführen ist, dass der totale Fußball zumindest dem Nationalteam nie den totalen Erfolg brachte. Van Gaals Oberpreuße ist der Niederländer Mark van Bommel (ehemals Barcelona), was zeigt, dass man Stereotypisierung im internationalisierten Fußball des 21. Jahrhundert allenfalls noch behutsam betreiben sollte. Trotzdem ist van Gaals Fußball auch niederländischer Erlebnisfußball, so wie der Fußball des FC Barcelona auch niederländischer Fußball ist und auf Johan Cruijff zurückgeht, den großen Fußballkünstler und Antipoden des Realisten Franz Beckenbauer.
Es wäre also mehr als eine Ironie der Fußballgeschichte, wenn ausgerechnet der FC Bayern im Jahr 2010 mit niederländisch geprägtem Fußball im Champions-League-Finale zu Madrid den zynischen Fußball überwinden könnte. Nicht im Elfmeterschießen, sondern überzeugend; durch die Kraft seines Spiels. Es wäre eine Versöhnung. Nicht nur von deutschem und niederländischem Spielverständnis. Viel gewaltiger: Es wäre die historische Versöhnung des FC Bayern München mit dem schönen und dem guten Fußball.
Das kann doch wohl alles nicht wahr sein.
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