Anti-Counterfeiting Trade Agreement (Acta): Surfen unter Aufsicht
Am Wochenende soll in mehreren deutschen Städten gegen das Anti-Piraterie-Abkommen Acta protestiert werden. Was genau steht drin? Kann es noch verhindert werden?
Filme und Musik runterzuladen ist doch jetzt schon illegal. Daran wird Acta doch nichts ändern, oder?
Nein. Aber die Kritiker des Handelsabkommens fürchten mehr Überwachung. Denn der Vertrag lässt sich so interpretieren, dass die Internetanbieter künftig kontrollieren sollen, was ihre Nutzer tun. Sie müssten die Daten, die sie bisher unbesehen durchleiten, überprüfen. Wie sie dazu gebracht werden? Im Kleingedruckten des Vertrags wird angeregt, die Anbieter für urheberrechtsverletzende Inhalte, die Nutzer auf ihren Seiten hochladen oder verschicken, haftbar zu machen. Um Strafen zu vermeiden, müssten die Firmen eine ständige Aufsicht stellen.
Die französischen Netzbürgerrechtler von La Quadrature Du Net warnen, dass in der Folge des Abkommens Firmen zu einer Art digitalen Urheberrechtspolizei werden könnten. Das sei aber Aufgabe des Staates.
Außerdem sprechen die Verfasser des Abkommens implizit einen Generalverdacht aus: Statt bis zum Beweis des Gegenteils davon auszugehen, dass Internetnutzer nichts Illegales tun, vermuten Sie hinter jedem User einen Raubkopierer, der ständig überwacht werden muss.
Das klingt recht vage. Wird hier eine Gefahr aufgebauscht?
Viele Formulierungen des Vertrages bewegen sich tatsächlich im Ungefähren. So legt der reine Vertragstext den Unterzeichnerstaaten beispielsweise lediglich nahe, "Kooperationsbemühungen im Wirtschaftsleben zu fördern, die darauf gerichtet sind, Verstöße gegen Marken, Urheber- und verwandte Schutzrechte wirksam zu bekämpfen" (Art. 27 Abs. 3). Staaten, die Acta unterschrieben haben, könnten diesen Passus umsetzen, wie es ihnen richtig erscheint.
Schwammige Formulierungen machen das Vertragswerk jedoch nicht per se ungefährlich. Im Gegenteil. Sie lassen sich von den Verantwortlichen weiträumig interpretieren und leicht durch Zusätze ergänzen. Und: Gegen etwas so wenig Handfestes lässt sich nur schwer Protest organisieren.
Entscheidend ist für viele Experten daher das Gesamtbild aller Formulierungen, der generelle Geist des Abkommens. Das "digitale Umfeld" würde zum Feindbild stilisiert, kritisiert der Aachener Jurist Jens Ferner. Und auch der Düsseldorfer Rechtsanwalt Udo Vetter kommt zu dem Schluss: "Auch wenn die einzelnen Vorgaben im Acta-Text eher schwammig sind, so lässt sich doch eine Grundtendenz herauslesen: Die Vertragspartner sollen die Freiheit des Netzes radikal beschränken dürfen, wenn es das geistige Eigentum schützt."
Ursprünglich war dieser Geist noch besser sichtbar. Eine frühere Version des Vertrags sah eine "Three Strikes"-Regelung vor. Heißt: Internetnutzer, denen dreimal Filesharing vorgeworfen wird, verlieren ihren Internetzugang. Nach wütenden Protesten war es damit vorbei.
Inzwischen streiten übrigens auch die Acta-Kritiker, wie gefährlich der Vertrag genau ist. Der deutsche Rechtsanwalt Thomas Stadler und der US-Journalist Timothy B. Lee warnen vor überzogenen Horrorszenarien. Der Juraprofessor und langjährige Acta-Kritiker Axel Metzger schreibt, das Abkommen enthalte strafrechtlich wenig, was nicht bereits geltendes deutsches Recht sei. Aber auch er warnt: "Acta regelt einseitig Sanktionen, ohne adäquate Rechtsschutzmöglichkeiten vorzusehen." So wären laut Vertrag Access Provider dazu verpflichtet, die Identität eines verdächtigten Nutzers zu verraten.
Acta, Sopa, Pipa - verschiedene Abkürzungen für die gleiche Sache?
Alle drei Maßnahmen sollen das Urheberrecht durchsetzen. Der zentrale Unterschied ist: Sopa (Stop-Online-Piracy-Act) und Pipa (Protect IP Act) sind Vorschläge für konkrete US-Gesetze, bei Acta handelt es sich um ein internationales Handelsabkommen, das zwischen 39 Ländern, darunter den USA, den EU-Staaten und Japan, geschlossen werden soll. Das bedeutet: Sopa und Pipa beinhalten konkrete Maßnahmen für die USA. So war darin zum Beispiel vorgesehen, dass zur Strafe wegen urheberrechtlicher Verstöße Webseiten auf Ebene der Domain Name Services blockiert werden konnten. Dann wäre eine Seite zum Beispiel nicht mehr unter www.youtube.com aufrufbar, sondern lediglich erreichbar, wenn ein Nutzer die 15-stellige Nummernfolge in sein Browserfenster eintippt.
Beide Entwürfe liegen nach Protesten auf Eis.
Im Gegensatz dazu ist Acta ein schwammig formulierter Text, der es schwer macht, seine Konsequenzen einzuschätzen.
Irgendwie geht es auch um preiswerte Medikamente, oder?
Dem Abkommen geht es generell um das Bekämpfen von "Piraterie". Das kann Auswirkungen darauf haben, welcher Käse unter dem Namen "Parmesan" verkauft werden darf - aber auch darauf, ob Arzneimittelkopien, sogenannte Generika, ihren Weg in arme Länder finden, wo sich die Menschen teure Medikamente sonst nicht leisten könnten.
Etwas übertrieben ist die in diesen Tagen häufig wiederholte Darstellung, Acta würde Generika verbieten. Denn es ist - wie gesagt - ein Handelsabkommen, und das bedeutet, dass sich ein Passus darin mit dem grenzüberschreitenden Fluss urheber- und markenrechtsverletzender Produkte beschäftigt. Darum spielen Zollkontrollen eine große Rolle: Verdächtige Lieferungen sollen laut Acta überprüft werden können - und zwar nicht nur in den Ursprungs- und Zielländern der Ware, sondern auch in Transitländern. Das, so sagen Kritiker, könnten Pharmafirmen als Ansatz nehmen, um Generika aus dem Verkehr zu ziehen, wenn sie Drittstaaten passieren - selbst dann, wenn diese Medikamente laut den Gesetzen des Ziellandes legal wären.
Das bedeutet: Acta wird die in Deutschland geltenden Regeln für Arzneimittel und Generika nicht groß verändern. Die Chance, das auffliegt, was heute schon illegal ist, wird aber größer. Und das, so fürchtet zum Beispiel die Hilfsorganisation Oxfam, könnte sich gravierend darauf auswirken, ob Generika ihren Weg in Drittweltländer finden. Die EU-Kommission behauptet, solche Auswirkungen gebe es nicht.
Wie kann ich daran noch etwas ändern?
Einer der größten Kritikpunkte bei Acta ist das geheimbundartige Gebahren der Verhandlungsstaaten: Der Vertragstext wurde hinter verschlossenen Türen verhandelt, ohne die Beteiligung gewählter Volksvertreter und ohne dass der konkrete Text veröffentlicht wurde. Den Regierungen der Unterzeichnerstaaten am Ende ein Dokument vorzulegen, das sie einfach nur abnicken oder ablehnen können - das allein ist in den Augen vieler Netzaktivisten undemokratisch und kritikwürdig.
Außerdem kritisiert zum Beispiel La Quadrature du Net, dass man mit der Ratifizierung von Acta auch dauerhaft eine demokratische Kontrolle aushebelt - weil laut Artikel 36 ein sogenannter Acta-Ausschuss eingesetzt werden soll.
Darin sollen alle unterzeichnenden Staaten vertreten sein. Dieser Ausschuss soll einerseits die Umsetzung der Vereinbarung überwachen, andererseits aber auch an der Weiterentwicklung des Übereinkommens arbeiten. Das bedeutet: Die Acta-Bestimmungen könnten sich nach der Ratifizierung noch verschärfen, ohne dass ein öffentlicher und transparenter Diskurs über die Maßnahmen stattfindet oder Parlamente darauf Einfluss nehmen können.
Viele EU-Staaten haben Acta im Januar unterzeichnet -Deutschland ist bislang nicht darunter. Wesentlich wichtiger ist allerdings, dass der Europäische Rat am 16. Dezember 2011 im Agrar- und Fischereirat dem Abkommen zugestimmt hat. Nun hängt es am Europäischen Parlament, ob die EU Acta Ende Mai ratifizieren wird oder nicht.
Am lauter werdenden Protest gegen Acta beteiligen sich große Teile der Netzöffentlichkeit, digitale Bürgerrechtsorganisationen, internationale Hilfsorganisationen, Journalistenverbände, die Grünen, einzelne SPD-Politiker und die Junge Union.
Am Samstag soll in 50 deutschen Städten gegen Acta demonstriert werden. Außerdem gibt es Unterschriftensammlungen, Aufrufe, dass Bürger sich mit Abgeordneten des Europaparlaments und anderen Zuständigen in Brüssel unterhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag