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Anti-AKW-DemoDer Treck nach Osten

Auf ihrer Tour von Gorleben nach Berlin sind die Atomkraftgegner auf Sympathisanten und aggressive Polizisten getroffen. Nach einer Woche Fahrt kommen die Traktoren am Sonnabend an.

Eine Woche war der Treck vom Wendland nach Berlin unterwegs. Bild: ap

"Guck mal, Mama." Der kleine Junge kann sich gar nicht sattsehen an den mit Transparenten geschmückten Schleppern und Anhängern. Vor einem Wagen bleibt der Knirps etwas ratlos stehen. Auf der Ladefläche staksen Schweine in Anzügen durch einen Haufen Atommüllfässer. "Der Trog bleibt. Nur die Schweine wechseln" steht auf einem Transparent.

Auf seinem Weg von Gorleben nach Berlin hat der Anti-Atom-Treck im niedersächsischen Sickte haltgemacht. In der Samtgemeinde am Fuß des Höhenzuges Asse leben rund 10.000 Menschen, seit ein paar Monaten gibt es hier die Bürgeraktion Sichere Asse. Sie hat den Treck der Lüchow-Dannenberger Bauern zu einer Kaffeetafel eingeladen. Auf der vorschriftsmäßig mit rot-weißem Trassierband abgesperrten Dorfstraße parken dicht an dicht die Traktoren. An Biertischen sitzen Sickter Bürger und Gorlebener Bauern in der heißen Sonne und schieben sich große Kuchenstücke in den Mund. Es ist Dienstag, alles ist friedlich. Zwei Tage später werden sich 50 Kilometer weiter die AKW-Gegner heftige Auseinandersetzungen mit der Polizei liefern.

Greenpeace-Mann Mathias Edler, der selbst einen Trecker steuert, ist von dem Empfang in Sickte begeistert. "Da kommt wieder was in Gang", sagt er. Die Skandale um das Atommülllager Asse, die Störfälle im Atomkraftwerk Krümmel, zuletzt die manipulierten Gorleben-Gutachten - all das sorgt dafür, dass die Anti-Atom-Bewegung wieder Auftrieb bekommt.

Der Sickter CDU-Bürgermeister Arne Pautsch, gestreiftes Hemd, Schlips, kleiner Bauchansatz, klettert auf den "Mobilisierenden Musik-Kampf-Wagen". Der Anhänger dient den Gorleben-Widerständlern seit Jahren als fahrbare Bühne. Pautsch will es kurz machen, er wünscht den Lüchow-Dannenbergern für die Weiterfahrt und für die Demonstration in Berlin am Samstag alles Gute.

Demo in Berlin

"Mal richtig abschalten!" lautet das Motto der Anti-Atom-Demo am Sonnabend in Berlin. Start ist um 13 Uhr am Berliner Hauptbahnhof, Abschlusskundgebung und Konzert ab 15 Uhr am Brandenburger Tor.

Der Anti-Atom-Treck ist am vergangenen Wochenende in Gorleben gestartet. Die Route führte über die Atommüll-Standorte Asse II, Schacht Konrad und Morsleben nach Berlin.

Die Aktion erinnert an einen 1979 von Bauern aus dem Wendland organisierten Treck.

www.anti-atom-demo.de

So entspannt wie in Sickte ist die Stimmung oft beim Treck - aber nicht immer. Morsleben in Sachsen-Anhalt, zwei Tage später. In einem Schacht des unterirdischen Salzstocks lagern knapp 40.000 Kubikmeter Atommüll aus Ost- und Westdeutschland. Ebenso wie im niedersächsischen Endlager Asse besteht akute Einsturzgefahr. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat davor gewarnt, dass wie schon 2001 tonnenschwere Brocken Salzgestein aus einer Zwischendecke herabstürzen könnten.

"Abschaum und Gesocks"

Als Anti-Atom-Trecker, einheimische AKW-Gegner und ein paar als Clowns verkleidete Demonstranten das äußere Tor öffnen und am Zaun rütteln, gehen behelmte Polizisten mit Pfefferspray und Hunden gegen die Menge vor. Ein Hund beißt sich am Bein einer Frau fest. Ein Beamter zückt seine Dienstwaffe und hält sie einem Bauern an die Schläfe. Mindestens zehn Menschen werden verletzt, einer festgenommen. Er habe Verkehrshütchen umgestoßen, heißt es zur Begründung. Einigen Leuten ist es trotzdem gelungen, auf einen Turm zu klettern und dort ein Transparent zu entrollen: "Stoppt das dreckige Atomgeschäft."

Greenpeace-Mann Edler hat eine Ladung Tränengas mitten ins Gesicht bekommen. "Ich konnte nichts mehr sehen" , erzählt er. Halb blind, torkelt Edler zu einem Container mit Sanitäreinlagen, um sich die Augen auszuspülen. Doch die Bergleute haben das Wasser abgestellt und stehen nun schadenfroh grinsend daneben. Edler hört nur Wortfetzen: "Abschaum", "Gesocks", "mal richtig vertrimmen". Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg protestiert gegen das Vorgehen der Polizei, kündigt Strafanzeigen gegen Polizisten an. Später bedauert Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann (SPD) den harten Polizeieinsatz. Er bietet den Demonstranten Gespräche an, um das Geschehen aufzuklären.

Seit sechs Tagen ist der Treck unterwegs, am Freitag ist er über Potsdam nach Berlin gerollt. Auf mehr als 100 Fahrzeuge ist der Konvoi angewachsen. Außer Traktoren fahren auch zwei Trucks von Greenpeace, etliche Begleitfahrzeuge, Motorräder und Fahrräder mit. Auf einem großen Castorbehälter aus Pappe klebt das Plakat "Retour".

Die wendländische Volxküche fährt immer ein paar Stunden zum nächsten Camp voraus, damit das Essen fertig ist, wenn der Treck ankommt. Gekocht wird vegan. Für die Fleischesser hat Schlachter Stefan Schulz aus Clenze 2.000 Biowürste gespendet und einen Grill gleich mit geliefert. Ein Getränkevertrieb aus dem Wendland versorgt den Treck mit Sprudel. Und Mathias Edler, im Nebenberuf Biobierbrauer, hat einen Kühlwagen mit Wendland-Bräu im Schlepp.

"Rebecca aufm Trecka" - der Reim ist etwas schief, findet Rebecca Harms, sie lässt den Spruch aber durchgehen. Auch die Europaabgeordnete der Grünen steuert einen Traktor. Ein roter Fiat, älteres Modell, das Fahrzeug gehört einer befreundeten Familie. Der erste Tag war ziemlich anstrengend, danach ging es besser. Das Treckerfahren hat Harms während ihrer Ausbildung zur Gärtnerin gelernt. "Da gabs einen Schlepperkurs, der war Pflicht", erzählt sie. Seitdem ist sie nur gelegentlich auf einen Traktor gestiegen, bei den Castortransporten zum Beispiel, auch beim ersten großen Treck der Lüchow-Dannenberger vor 30 Jahren war sie dabei.

Was ist anders zwischen damals und heute? "Wir aus Lüchow-Dannenberg denken heute viel größer", sagt sie nach kurzem Überlegen. "Damals waren wir eine nur eine Region, die Leute kamen zu uns, jetzt sind wir die Initiatoren des Protestes. Außerdem fahren wir heute durch ein anderes Land." Vorbei an Windrädern und Biogasanlagen - "das sind doch Sachen, die wir seitdem erreicht haben".

Auf einem anderen Trecker sitzen Leute, die mit den Grünen und dem Parlamentarismus nichts am Hut haben und das mit ihren Plakaten und Parolen auch deutlich zeigen. Es ist nämlich so, sagen sie, dass die Atomgegner aus dem Wendland durchaus unterschiedliche Ansichten hätten. Aber eine gemeinsame Aktion wie den Treck auf die Beine stellen könnten sie allemal.

Sie können sich auch gemeinsam freuen. Als Freitagmorgen bekannt wird, dass im Wendland noch einmal um die 350 Traktoren losgefahren sind, jubeln alle.

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7 Kommentare

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  • R
    Roland

    @ Vic

     

    Kann es sein, dass eine neutrale Darstellung, die nicht in Ihr Weltbild passt, von Ihnen von vorneherein abgelehnt wird?

     

    Im Gegensatz zu Ihnen war ich am Ort des Geschehens - und weiß schließlich, was ich gesehen habe.

     

    Herr Edler von Greenpeace ist glaubwürdiger? Ist er denn nicht Partei und hat schon dadurch naturgemäß kein Interesse an einer für seine Interessen negativen Darstellung?

  • J
    Jakob

    Wenn Sie vor Ort waren Herr Roland sollten Sie sich vielleicht mal mit der Polizei in Verbindung setzten.

    Die scheint nämlich nicht von dem Steinhagel mitbekommen zu haben...

    ("Wie die Polizei mitteilte, versuchten etwa 50 Demonstranten auf das Gelände zu gelangen. Beamten setzten daraufhin Pfefferspray und Hunde ein")

    ...vielleicht kann die Polizei dann auch noch Strafanzeigen wegen Steinewerfens erheben?

    Die Frau die gebissen wurde (Sie wissen schon, die als Clown verkleidet war) soll übrigens Konfetti geworfen haben...

    Auch auf den Videos des MDRs sind leider keine Steinhagelschauer zu sehen (http://www.mdr.de/nachrichten/6657922.html)

  • D
    Diether

    "Mit solchen Aktionen machen sich Kernkraftgegner keine Freunde"

    AKW-Gegner, brauchen keine Freunde, die sie nicht schon haben. Wie sonst soll man zeigen, dass man gegen dieses verbrecherische Spiel mit dem Atom ist? Da darf es ruhig auch mal ein bisschen über das hinausgehen, was als "gesitteter Protest" gewertet wird, dann aber auch kaum wahrgenommen würde. Das ist doch alles nichts gegenüber dem, was uns als Gesellschaft durch die Atomindustrie mit Duldung der höchsten politischen Verantwortlichen zugemutet wird. Gewalt erzeugt eben Gegengewalt - nur ist in diesem Fall die Gegengewalt auf einem lächerlich niedrigen Niveau im Vergleich der diese auslösenden Gewalt.

  • V
    vic

    Ich glaube auf jeden Fall Greenpeace-Mann Mathias Edler, bevor ich Version "Roland" vertraue.

    Und weshalb sollte Sachsens Innenminister das harte Vorgehen seiner Meute bedauern wenn es das nicht gab?

    Es gibt genug einschlägige Beispiele dafür, dass das Vorgehen der Staatssicherheit auch in diesem Fall, dem in diesem Land vorgeschriebenem Standard entspricht. Man kennt das und deshalb ist es glaubwürdig.

    Schreiben sie für´s Atomforum, Roland?

  • C
    Cinemabstruso

    @ Roland, wer auch immer du bist, aber deine Geschichte klingt irgendwie auch ein bisschen zu astrein andersrum- "eine Frau hat einen großen Stein auf einen Hund geworfen, worauf der sich losgerissen hat und die Frau angefallen hat...":)

    In der aktuellen Jungle World gibts einen guten Artikel über Atomkraftlobby und Antiatomkraftlobby- wenn ich eine andere Geschichte hören will als die aus dem Bericht hier, dann les ich lieber den Artikel als deine Geschichte, die aus 3 bösen Taten der Atomkraftgegner besteht.

    Viele Grüße

  • M
    Marco

    Hey Roland, man du hast ja anscheinend alles mitbekommen was im Artikel beschieben wird. Sehr aufmerksam.

     

    Aber ehrlich das was du schreibst glaube ich dir nicht, das was du über den Polizei Hund schreibst....

  • R
    Roland

    Ich würde ja zu gern wissen wollen, ob Herr Paul bei dem Geschehen in Morsleben dabei war oder nur aus zweiter Hand berichtet.

     

    Ich war zufälligerweise dort, da ich beruflich in der Nähe zu tun hatte und habe von den Ereignissen einen völlig anderen Eindruck.

     

    Die Auseinandersetzungen begannen, als ein Hagel aus Steinen und sonstigen Wurfgeschossen auf den Polizisten und teilweise auch den Bergleuten niederprasselte. Erst daraufhin ging die Polizei dazu über, härter durchzugreifen.

     

    Zu der Sache mit dem Hund, der sich am Bein einer Frau festbiss: Diese hatte zuvor einen faustgroßen Stein auf ihn geworfen, worauf er sich vom Hundeführer losriss und die Frau attakierte.

     

    Der Hundeführer konnte ihn jedoch rasch wieder zurückziehen und beruhigen.

     

    Vielleicht ganz grundsätzlich: Auch ich stehe der Kernkraft sehr kritisch gegenüber - mit solchen Aktionen machen sich die Kernkraftgegner bei ihrem berechtigten Anliegen jedoch keine Freunde!