Anonymes Anschwärzen von Steuersündern: "Weg in die Spitzelgesellschaft"
Mehrere Bundesländer planen, Internetportale für anonyme Anzeigen gegen Steuersünder einzurichten. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Schaar warnt dringend vor der Maßnahme.
BERLIN afp Bundesdatenschutzbeauftragter Peter Schaar ist alarmiert: "Das ist der Weg in die Spitzelgesellschaft", kritisiert er in der Berliner Zeitung am Mittwoch Pläne der Finanzbehörden, anonyme Anzeigen gegen mögliche Steuersünder per Internet zu ermöglichen. In den Finanzbehörden mehrerer Bundesländer soll es Pläne für Internetportale geben, die es ermöglichen, verschlüsselte Tipps zu geben, ohne identifiziert werden zu können.
"Ein solcher Schritt hat eine neue Qualität", sagte Schaar. Da jeder Bürger steuerpflichtig sei, könne somit auch jeder angezeigt werden. "Selbst die Finanzbehörden schließen nicht aus, dass ein Nachbar den anderen anschwärzt." Mit der anonymen Anzeigemöglichkeit würde die aus gutem Grund bestehende Vorschrift ausgehebelt, wonach ungerechtfertigte Verdächtigungen strafrechtlich verfolgt werden können.
Der Bundesdatenschutzbeauftragte warnte auch davor, dass einem solchen Schritt im Bereich Steuern und Finanzen "andere Bereiche folgen" könnten. So sei vorstellbar, dass später genauso auch gegen Verkehrssünder oder Schwarzarbeiter vorgegangen werde. "Es würde sich ein Netz des Misstrauens über die Gesellschaft stülpen, in der niemand mehr dem anderen vertrauen kann", sagte Schaar.
Berlin wolle sich an dem Projekt beteiligen, bestätigte ein Sprecher des Berliner Finanzsenats der Berliner Zeitung. Auch das Brandenburger Finanzministerium begrüße das Vorhaben grundsätzlich, sagte ein Sprecher. Allerdings seien noch keine konkreten Schritte unternommen worden. Baden-Württemberg lehnt das Vorhaben laut Berliner Zeitung ab, da es schon heute Probleme mit anonymen Hinweisen gebe, bei denen Anschwärzereien oder Rache nicht auszuschließen seien.
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