"Anonyma" im Kino: Schweigen und gucken
Max Färberböcks Buchverfilmung "Anonyma - Eine Frau in Berlin" findet keine überzeugende Bildsprache für sein Sujet: Die Vergewaltigungen, denen Berliner Frauen 1945 zum Opfer fielen.
Es ist immer schade, wenn aus einem ungewöhnlichen Buch ein mittelmäßiger Film wird. Hier ist es besonders bedauerlich, weil "Anonyma - Eine Frau in Berlin" ein äußerst ungewöhnliches Buch ist, aus dem Max Färberböck einen äußerst durchschnittlichen Film gemacht hat. Man glaubt, jede Kulisse und jede Figur schon in zehn Filmen zuvor gesehen zu haben: die gleiche Straße, derselbe Bunker, die Kittelschürzen, die Frisuren, die Antiquitäten, ja, selbst die russischen Soldaten kommen einem bekannt vor, und dazwischen, fast wie eine Modeikone, Nina Hoss, von der man inzwischen gar nicht mehr weiß, ob sie eigentlich eine gute Schauspielerin ist, weil sie ständig dasselbe machen muss. Schön aussehen, sparsam reden und vor allem gucken.
Zur Erinnerung: Es geht um die Tagebuchaufzeichnungen einer Frau vom 20. April bis 22. Juni 1945. Die Russen marschieren in Berlin ein, und die Autorin beschreibt Wochen voller Chaos, Gewalt und Angst, in denen Überleben tatsächlich Kunst war. Auch wenn findige Journalisten inzwischen den richtigen Namen der Autorin herausgefunden haben, soll hier doch ihr Wunsch, ungenannt zu bleiben, respektiert werden.
Auch Färberböck hat diesen Wunsch respektiert, allerdings hat er der Anonyma naturgemäß ein Gesicht gegeben. Das schöne Gesicht von Nina Hoss, die eben am schönsten ist, wenn sie schweigt und guckt. Das kann sie hier mindestens so oft und so lang wie bei Christian Petzold. Wenn eine Straße in Schutt und Asche gebombt wurde, liegt sie noch immer wunderschön anzusehen schweigend mit geschminkten Lippen und getuschten Wimpern zwischen den Ruinen. So viel Zeit muss wohl sein. Vielleicht sollte damit aber auch klargemacht werden, dass ihre Figur zu jener Generation von Frauen gehört, die nie ohne Lippenstift aus dem Haus ging. Nicht einmal, wenn sie in den Bunker rannte.
Wenn sie den russischen Major, mit dem sie später eine Liebesaffäre hat, zum ersten Mal sieht, enthüllt sich das Operettenhafte dieses Films. Die beiden tauschen einen Blick durch die Menge hindurch; der zwingende Fortgang der Geschichte ist sofort jedem klar. Dabei ist das Thema des Buches mitnichten die Liebe. Hier geht es vor allem um sexuelle Gewalt.
Im Krieg gehört die Beute immer den Siegern, und in jedem Krieg sind die Frauen der Verlierer favorisierte Beute. Die massenhaften Vergewaltigungen von Berlinerinnen durch russische Soldaten wurden nie ausführlich thematisiert. Vergewaltigung ist nichts, worüber die - meist weiblichen - Opfer gern sprechen. Im Gegensatz zu den Schützengrabenerlebnissen der Männer. Viele dieser Frauen bekamen Kinder als Folge einer oder mehrerer Vergewaltigungen. Die wenigsten der Nachkriegsgeborenen dürften in diesem Fall von ihrer gewalttätigen Zeugung wissen.
Hier liegt der Grund verborgen, warum Anonyma, die laut eigenen Angaben bis zum Kriegsausbruch vom Schreiben lebte, ihren vermutlich wichtigsten Text nicht unter ihrem Namen veröffentlichen wollte.
Der Text ist deshalb so wichtig, weil er versucht, eine Sprache für das Unbeschreibbare zu finden. Die Aufzählung der Schrecken geschieht fast buchhalterisch - wie hingekritzelt auf einen Einkaufszettel, damit man nichts vergisst. Und hin und wieder Zeit für eine Reflexion. Wie schlimm oder nicht schlimm etwas ist. Und wie gerecht.
Eines jedoch ist klar: Jedes Gefühl ist gefährlich. Nur die Stumpfheit hilft zu überleben. So wird Anonyma zu einer Unberührten und Unberührbaren. Jedes Zeigen der Schändung wäre eine weitere Beleidigung für die Frauen.
Da es im Wesen des Films liegt, etwas zu zeigen, hätte man bei einer Bebilderung der Aufzeichnungen ebenfalls eine eigene Bildsprache für das Unbeschreibliche finden müssen. Zwar wird hier keine Vergewaltigung ausführlich gezeigt, dennoch haben die Szenen etwas Aufreißerisches. Manche Frauen gaben sich schließlich auch "freiwillig" hin. Wie Anonyma, die sich gezielt einen höheren Dienstgrad unter den Soldaten aussucht, um nicht Beute für alle zu werden.
Und vielleicht, weil das Hauptthema des Buches - der Umgang der Frauen mit den Vergewaltigungen - filmisch nicht in den Griff zu kriegen war, bekommt eine Liebesgeschichte Gewicht, die in dem Buch überhaupt nicht vorkommt. So bleibt man beim Zuschauen unberührt.
Zu erkenntlich ist das Ziel, ein unterhaltsames Kinostück mit attraktiven Frauen und hin und wieder lustigen Dialogen zu machen. Es sollen nicht allzu böse Russen vorkommen und eine Berliner Kriegskulisse, in der es - trotz alledem - irgendwie immer fidel zugeht. Ob sich Färberböck aus Fantasielosigkeit oder der Kommerzialität wegen dazu entschloss, wissen wir nicht. Wer das Buch schätzt, sollte sich den Film sparen.
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