piwik no script img

Anne WillHart, aber schmerzlich

ARD-Moderatorin Anne Will hatte endlich Premiere mit ihrer Polit-Talkshow "Anne Will". Und, wie war sie, die Miss Post-Christiansen?

Na, wie war ich? Anne Will hat ihre erste Sendung überstanden Bild: dpa

Diese Arbeitwelt muss gnadenlos sein. Sie lässt ihrem Star nur eine Stunde, um die Chefs mit einem Millionenpublikum gewogen zu stimmen. Dass die es selbst einer ehrgeizigsten, erfolgreichsten Joggerin nicht einfach machen würden, äußerten sie in klaren Kompetenzvorgaben für die Moderatorin: "Persönlichkeit, Charme, Intelligenz, Kompetenz". Selbstverständlich würden sie da alles tun, "um sie so gut aussehen zu lassen als möglich".

Als wäre dies nicht genug, hat einer der beiden, ARD-Programmdirektor Günter Nicht-gerne-Professor-genannt Struve, ein Motto für die Sendung ausgegeben, zu dem einem nun wirklich nichts mehr einfällt: "Zart, aber fair" werde sie werden, in Abgrenzung zum Format des anderen, in der ARD noch zu etablierenden Formats "Hart, aber fair" mit Frank Plasberg. Leider ist diese öffentlich-rechtliche Arbeitswelt mehr als ein schlechter Witz. Die Martkanteil-Vorgabe fällt eher unter die Kategorie "hart" als "fair". Der Erfolg der Vorgängerin Sabine Christiansen muss gehalten werden - trotz journalistischer Kompetenz der Moderatorin. Wofür denn sonst immer mehr Gebühren?

Soviel zum Druck, der auf Anne Will gelastet haben musste, als sie am Sonntagabend zum ersten Mal um 21 Uhr 45 ihr Talk-Format "Anne Will" präsentierte. Thema: "Rendite statt Respekt. Wenn Arbeit ihren Wert verliert." Zu zeitlos für ein aktuelles politisches Wochenformat, aber wohl emotional naheliegend.

Gefühl jedenfalls schien eine der tragenden Säulen des neuen Konzepts von "Anne Will" zu sein. Empathie mit und Volksnähe zu den Menschen, die Medienmenschen für gewöhnlich als "normal" bezeichnen und, im Gegenzug, Kritik an bis Empörung über die Menschen, die "normale" Leute gerne als "die da oben" bezeichnen: Politiker und Manager.

Inmitten des vielbeschriebenen warm beige-braun-roten Kaminstübchenstudios in Berlin Adlershof saßen also auf roten Plastikstühlchen versammelt: Kurt Beck, SPD-Kanzlerkandidatenschreck, Jürgen Rüttgers, CDU-Sozialgewissen aus NRW, René Obermann, Telekom-Chef, Margot Käßmann, protestantische Kirchenleitfrau. Ihnen gegenüber platziert, auf weißen Sofas: eine gewisse Kerstin Weser, Call-Center-Jobberin, die kein Hartz IV will, aber doch Beihilfe benötigt. Und, sozusagen als Pendant, ein gewisser Bernd Sprenger, Arzt, Psychologe und Experte in Sachen "Burn Out".

All diese unterschiedlichen Menschen sprachen also über: Arbeit. Keine Arbeit. Zuviel Arbeit. Unsoziale Arbeitswelt. Druck in der Arbeitswelt. Lohn. Oder Mindestlohn. Und wie ein Wunder, am Ende der Sendung hatten doch alle etwas gemeinsam: Sie saßen, zu Opfern mutiert, verloren in einer tristen Welt. Bei einem PR-Profi wie Beck, dessen Adrenalin-beflügeltes Pfannkuchen-Grinsen nach und nach verschwand, oder bei einem wie Rüttgers, der seinen neuen Sozial-Spin selbst noch nicht so ganz verstanden hat, mag dies eine gute Nachricht sein. Das Ende der Christiansen-Zeit ist bei beiden noch nicht angekommen, auch wenn sie hartnäckig versuchten, sich in alter Talk-Manier gegenseitig Wortunterbrechung vorzuwerfen und der Lüge zu bezichtigen.

Für Kerstin Weser jedoch hätte man sich glatt einen Kollegen wie Reinhold Beckmann gewünscht, der seine Gäste beim dringlichen, pseudoempathischen Einfühlen wenigstens nicht alleine auf dem Sofa zurück lässt, und dort wie ein präsentes Häuflein Elend immer wieder im Großbild zeigt, als brauche man ein sichtbares schlechtes Gewissen. Will das wirklich jemand sehen?

Für den Anfang waren es jedenfalls gute fünf Millionen, die Wills Premiere in aller Langatmigkeit und Trübseligkeit durchstanden. Marktanteil gute 18 Prozent, was Herrn Struve pflichtgemäß freut. Auf dem wahren Prüfstand steht "Anne Will" erst in den nächsten Wochen. Dann werden hoffentlich bald die Sofas und die Normal-Gäste aus dem Konzept verschwinden, und Anne Will sich auf das konzentrieren dürfen, was sie kann: Politiker und Mangager so zu befragen, dass der Mensch vor dem Fernseher etwas davon hat. Ganz ohne Druck.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • HM
    Heinrich Müller

    Sehr geehrte Damen und Herren,

     

    ob Christiansen oder Will: Diese Sendung ist so überflüssig wie ein Kropf. Warum setzen die Programmdirektoren nicht vier oder fünf kritische Normalbürger e i n e m Politiker gegenüber, der dann von seinem heißen Stuhl aus Antworten geben muss. Es gibt genug wirklich harte Fragen, und die Bürger müssten im Gegensatz zu Moderator(inn)en keine Angst haben, wegen zu deutlicher Worte gefeuert zu werden. Außerdem täte es allen Abgeordneten, Ministern und auch der Bundeskanzlerin sehr gut, das Zuhören zu üben, anstatt jede ernsthafte Diskussion mit einem immer gleichen Schwall von Phrasen und Floskeln bereits im Ansatz zu ersticken.

     

    Mit freundlichen Grüßen

     

    Heinrich Müller