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■ Anmerkung zur permanenten Zumutung namens SPDDas Primat des Machtwechsels

Wer nicht schon längst an der SPD verzweifelt ist, muß es angesichts ihres tagtäglich demonstrierten Willens zu Politikunfähigkeit nun endlich doch tun. Statt sich in den Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik, welche die nächsten Bundestagswahlen entscheiden werden, als Alternative zur regierenden Einfallslosigkeit und Unfähigkeit zu profilieren, wollen uns die Sozialdemokraten mit monatelangen Vorwahlen à la USA ein niveauloses Sommertheater darbieten.

Die personalpolitische Diskussion wird sich dabei mit einer programmatischen Debatte zu einem für Außenstehende undurchschaubaren Knäuel verwirren. Bei den taktischen Schachzügen und Intrigen der diversen ProvinzfürstInnen und Ex-KandidatInnen wird die Frauenfrage ebenso hemmungslos für die parteiinternen Machtkämpfchen funktionalisiert werden wie die als „Mehr Demokratie wagen“ getarnte Entscheidungsunfähigkeit, zu der die hilflose und unverbindliche Urwahl jetzt emporstilisiert wird. Jahrelang hat die SPD – oft nicht ohne gute Gründe – die Grünen als politikunfähig denunziert. Jetzt scheint sie allen zeigen zu wollen, daß sie die wahre Meisterin der freiwilligen Selbstdemontage ist. Für alle, die darauf beharren, daß die SPD eine potentielle Regierungspartei ist, wird es zu einer immer größeren Zumutung, zu beobachten, mit welcher Verve sie alles versucht, um ihre Wahlchancen zu mindern. Der sozialdemokratische Unwillen zur Macht läßt sich höchstens noch damit erklären, daß die Enkel und ihre Anverwandten die Finanzkatastrophe, die nach den nächsten Bundestagswahlen auf jede Regierung zukommt, lieber frei von jeder Verantwortung auf den angestammten Oppositionsbänken aussitzen möchten.

Dabei hat die SPD eine einzige Aufgabe, der sie alle anderen Überlegungen unterzuordnen hat: den Sturz respektive die Abwahl Helmut Kohls als Bundeskanzler. Schon 1989 war die Zeit für einen Machtwechsel in Bonn überreif. Angesichts des Versagens der Regierung im Prozeß der Vereinigung und der bedenkenlosen Remilitarisierung der deutschen Außenpolitk ist ein Ende der Ära Kohl fälliger denn je. Will die SPD nicht den Weg der Sozialistischen Partei Frankreichs gehen und sich in die Bedeutungslosigkeit verflüchtigen, muß sie sich diesem Primat des Machtwechsels stellen.

Für die Kandidatenkür heißt das: Weder der Geschlechterkampf noch programmatische Nuancen dürfen entscheidende Kriterien sein, sondern einzig und allein die Frage, welche Person die besten Wahlchancen hat. Es interessiert nicht, wer die verschiedenen SPD-Seilschaften am besten hinter sich versammeln kann, sondern wer der Partei bei den Bundestagswahlen im Dezember 1994 die meisten Stimmen bringt. Diese Person muß nicht so sehr den Wünschen des Parteivolkes gerecht werden, sondern dem Wunsch des Wahlvolkes nach einer personellen Alternative zu Helmut Kohl. Die Frage, wer diese Bedingungen am ehesten erfüllt, ist leicht zu beantworten: Gerhard Schröder. Michael Sontheimer

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