Ankern in Gewässern soll verboten werden: Auf dem Weg zur polierten Stadt
Haus- und Kulturboote, die in der Rummelsburger Bucht regelmäßig vor Anker liegen, sollen vertrieben werden. Innensenator Geisel arbeitet daran.
D as Glattpolieren der Rummelsburger Bucht geht anscheinend in die nächste Runde: Nun sollen wohl auch die Haus- und Kulturboote, die dort regelmäßig vor Anker liegen und zumeist der alternativen Szene angehören, vertrieben werden. Es ist die letzte Entwicklung einer jahrelangen Verdrängungsgeschichte, in der zuletzt im Februar ein Obdachlosencamp zugunsten des Touristenaquariums Coral World geräumt wurde.
Hauptakteur ist Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD), allerdings in seiner Rolle als zuständiger Wahlkreisabgeordneter. Scheinbar wandte sich Geisel schon Ende vergangenen Jahres mit der Bitte an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), dieser möge doch den Paragrafen 21.24 der Binnenschifffahrtsstraßenordnung ändern. Darin enthalten ist eine Ausnahmeregelung, die es – im Klartext formuliert – Besitzer:innen von Haus- und Kulturbooten ermöglicht, diese auch an ungenehmigten Stellen für einen Tag unbewacht liegen zu lassen.
Fiele diese Ausnahme, wäre es aufgrund der teuren und rar gesäten Hafenplätze wohl vorbei mit Bootpartys, Kulturveranstaltungen und dem politischen Protest vom Wasser aus, für welche die Hausboote regelmäßig genutzt werden. Der Grund für Geisels Vorpreschen sind Beschwerden von Anwohner:innen in den teuren Neubauten, die rings um die Bucht entstanden sind. Hier fühlt man sich wohl vom Lärm, Dreck und dem schlechten Zustand einiger Boote gestört.
Das bekannte Muster der Gentrifizierung
Es werden nicht alle Beschwerden der Anwohner:innen völlig unbegründet sein. Dennoch tritt erneut das bekannte Muster der Gentrifizierung zutage: Nach der Aufwertung eines Viertels und dem Zuzug einer kapitalträchtigen Bevölkerungsschicht beginnt eine Verdrängungswut gegen all jene, die eben nicht leben wollen wie in einem Schöner-Wohnen-Katalog. Dass der alternative Flair den Hype um das Viertel erst geschürrt hat, wird gezielt verdrängt.
Geisels Plan geht mit beträchtlichen Kollateralschäden einher: Denn ist ein Ankerverbot erst einmal beschlossen, gilt es nicht nur in der Rummelsburger Bucht, sondern überall. Betroffen wären all jene, die auf dem Wasser Sport, Tourismus oder Kultur betreiben.
Wenn Geisel diese Konsequenzen in Kauf nimmt, nur um ein paar Alternative aus der Bucht zu vertreiben, dann scheint ihm die Kommerzialisierung der Stadt ein persönliches Anliegen zu sein.
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