Animierter Kinderbuch-Klassiker: Alarm in Philanthropistan
Slapstickeinlagen, Verfolgungsjagden und ein Nervenzusammenbruch: "Horton hört ein Hu" spielt in einer Welt, in der sich alle lieb haben. Eigentlich.
"Papa kann gerade nicht, er hat einen Nervenzusammenbruch". Doch nicht die 96 Töchter und der eine Sohn lassen den Bürgermeister von Hu-Heim wie einen Volltrottel aussehen, sondern der nahe Untergang der Welt. Die ist klein, sehr klein, sie hat auf einem Staubkorn Platz. Bisher hat das die Bewohner nicht gestört, denn von einer Wolkendecke geschützt, wussten sie davon nichts.
Der Elefant Horton hat dank seiner großen Ohren den Kontakt zu der Welt der Winzlinge aufgenommen. Er rettet sie vor dem Versinken im Wasser, aber da die anderen Dschungelbewohner denken, jemand, der mit einem Staubkorn redet, ist ein Vollidiot, wird sein Eingreifen zu einer existenziellen Bedrohung. Ein Känguru sieht die Tierkinder in ihrer natürlichen Entwicklung durch Mortons vermeintlich überbordende Fantasie bedroht, also eine klassische Bessermami, und verlangt die Vernichtung des Staubkorns.
Der Film hält sich an "Horten Hears a Who", den 1954 entstandenen Kinderbuchklassiker von Dr. Seuss. Der deutsche Filmtitel "Horten hört ein Hu" behält zwar die Alliteration bei, macht aber die Aufdrucke mit "W" für Who in der Winzlingswelt unsinnig und verzichtet auf die Bedeutung: Horten hört ein Wer? Hu-Heim, die Welt der Hus, ist eine Art Philanthropistan, in dem sich alle lieb haben, keiner sich verletzen kann und alles rund ausschaut. Auch im Dschungel fehlen Gegner: Die Kängurumutter ist in Wirklichkeit nicht böse, sondern nur ein Kontrollfreak; der von ihr angeheuerte Killer, ein Geier, ist ein Depp. Das aber wird zum Problem für den Film, in dem alle Konflikte limitiert sind. So versandet das Ende in ein süßliches "Wir haben uns alle lieb".
Die Regisseure Jimmy Hayward und Steve Martiono versuchen mit Rasanz, also vielen hübschen Slapstickeinlagen und Verfolgungsjagden, diesen Mangel zu übertünchen. Hinreißend ihre Variante des Überquerens einer morschen Hängebrücke, jetzt mit einem Elefanten, der sich einredet, leicht zu sein - nur fehlt jede dramaturgische Notwendigkeit. Denn bald schon trifft der Dickhäuter die anderen Tiere, die offenbar einfach so über die Schlucht kamen. Zu viel Hu, zu wenig Wer.
Theodor Seuss Geisel, so der richtige Name von Dr. Seuss, hat mit "Horten Hears a Who" immerhin eine hübsche Kinderbuchvariante von Leibnitz Monaden geschaffen. Ist die Welt, die wir wahrnehmen, die richtige? Und da wir das nicht zuverlässig wissen, sollten wir alle anderen Welten neben unserer dulden. Das wurde 1954 als Statement für die Bürgerrechtsbewegung verstanden. Diesen Kern verliert der Film bei seiner rasanten Vorwärtsbewegung immer wieder aus den Augen.
MARTIN ZEYN
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