Angstexperte über Gehirn in Krisenzeiten: "Zwanghafte Menschen sparen eher"
Das menschliche Gehirn in Krisenzeiten: Wohlfühlhormone werden auch ausgeschüttet, wenn alle einen Einbruch erwarten, er aber noch nicht kommt, sagt Psychiater Bandelow.
taz: Herr Bandelow, das Weihnachtsgeschäft läuft nicht so schlecht. Fühlen sich viele Menschen gar nicht angesprochen durch das Gerede über die Krise?
Borwin Bandelow: Die Leute sind unterschiedlich betroffen. Die Menschen, die bisher den Verfall auf den Aktienmärkten unmittelbar spürten, hatten eher viel Geld angelegt und sind betucht. Die können sich also immer noch ihr Handy für 400 Euro leisten. Die anderen wiederum, die kaum Geld auf der hohen Kante haben, sind unmittelbar von der Finanzkrise noch nicht betroffen und konsumieren auch, gerade im Weihnachtsgeschäft.
Haben Konsum und die Schenkerei zu Weihnachten nicht auch etwas Tröstliches, gerade wenn die allgemeinen Prognosen eher düster sind ?
Das stimmt. Aus neurobiologischer Sicht ist es so, dass im Hirn Wohlfühlhormone ausgeschüttet werden, wenn man sich selbst was Schönes kauft. Diese Ausschüttung kriegt man aber auch, wenn man etwas verschenkt. Man hat ein Experiment gemacht, wobei die Leute etwas spenden durften. Das Gehirn wurde durchleuchtet und zeigte eine starke Aktivierung im sogenannten Belohnungssystem. Diese Aktivierung war beim Spenden genauso stark, wie wenn sie 128 Dollar geschenkt bekamen.
Dann wäre unser Gehirn gewissermaßen auf das Kaufen und Schenken programmiert, egal wie finster die wirtschaftliche Lage ist?
Unser Belohnungssystem reagiert auf den Konsum, aber nicht nur. Es ist auch so gestrickt, dass man ebenfalls eine Ausschüttung an Wohlfühlhormonen erlebt, wenn eine Bestrafung erwartet wird und die nicht eintritt. Das weiß man aus Experimenten mit Affen. So ist es derzeit auch hierzulande, alle erwarten den großen Einbruch. Der ist aber noch nicht gekommen. Also fühlt man sich erst mal noch gut. Winston Churchill sagte mal: "Es gibt nichts Schöneres, als beschossen und nicht getroffen zu werden."
Ist das nicht auch eine Frage der Persönlichkeit, wie man auf Krisen reagiert?
Aus der Sicht eines Psychiaters bringen manche Persönlichkeiten oder Krankheiten sehr unterschiedliche Strategien etwa im Umgang mit Geld mit sich. Zwanghafte Menschen zum Beispiel sparen das Geld eher und geben es nicht aus. Die denken, wenn ich mir jetzt diesen Flachbildschirm kaufe, habe ich 1.000 Euro weniger, und empfinden daher beim Geldausgeben keinen Lustgewinn. Bei depressiven Leuten wiederum kann es einen Verarmungswahn geben. Bei manisch-depressiven Menschen kann das in der manischen Phase dann umschlagen in einen Kaufrausch. Das kann auch geschehen, etwa wenn man ein Antidepressivum verabreicht. Das zeigt, dass das Geldausgeben auch durch bestimmte Moleküle gesteuert ist.
Verändert eine Krise nicht auch gesellschaftliche Maßstäbe? Es gibt Untersuchungen, die sagen, dass Arbeitslose beispielsweise in Krisenzeiten nicht mehr so stigmatisiert werden, wie es in Zeiten der Hochkonjunktur geschieht.
Das kann gut sein. Wenn die Arbeitslosenzahlen steigen, wird man annehmen, dass es nicht mehr die Schuld des Einzelnen ist, wenn er seinen Job verliert. Vielleicht entsteht dann eher wieder ein Solidaritätsgefühl mit den Erwerbslosen.
INTERVIEW: BARBARA DRIBBUSCH
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