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Angst vor der Zukunft

■ betr.: „Havin' a Party“ von Tobias Dürr, taz vom 12.12. 97

Herr Dürr scheint nur äußerst wenig von dem verstanden zu haben, was unsere Generation betrifft – seltsam, ist er doch selbst nur acht Jahre älter als ich.

[...] Ich habe alle denkbaren „Mitbestimmungs-Institutionen“ durchlaufen, vom Umweltplakate- Malen mit acht bis zu Parteien mit 20. Ich habe mich in Gorleben von der Straße treten, in Unigremien gnadenlos überstimmen und als Feministin belächeln lassen – ohne natürlich aufzuhören. Und ich spreche ganz sicher nicht nur für mich, wenn ich sage, daß ich Angst vor der Zukunft habe (und Grund dazu). Meine Generation hat einfach Angst, später weder Job noch Trinkwasser oder Atemluft zu haben. [...] Und wir erleben die institutionellen Möglichkeiten der sogenannten Mitbestimmung als vollkommen wirkungslos, schon aus ihrer Struktur heraus. [...]

Besonders wütend gemacht hat mich dieser unsägliche Rat, in Parteien zu gehen. Herr Dürr übersieht trotz seiner Jugend die Zeichen der Zeit, wenn er allen Ernstes glaubt, daß nicht auch wir dadurch gnadenlos neoliberalen Strukturen unterworfen würden, vor denen uns die Uni – noch – schützt und in denen alle Parteien gegenwärtig versinken. Es erscheint mir und vielen anderen einfach unlogisch, sich in Parteien zu verschleißen, während draußen der Neoliberalismus davon völlig ungebremst die Welt dreht. Selbst die – ziemlich braven – Grünen wähle ich allenfalls noch aus Verzweiflung. Eine eigene Partei? Herzlichen Glückwunsch, mir ist es völlig egal, über was für eine Gruppierung ich in dieses lächerliche, liberalökonomische Marionettentheater hineinrutsche.

Herr Dürr, verstehen Sie endlich, daß Lähmung nicht unbedingt Naivität oder Gleichgültigkeit bedeutet und hören Sie auf, uns Strukturen nahezulegen, die schon längst auf allen Ebenen versagen, weil die Macht woanders liegt. Zudem denke ich für meinen Teil ja nicht daran, hart, unversöhnlich, männliche Macht ausübend und damit unflexibel und politisch beharrend zu sein – egal, wo mich das hinführt.

Verstehen Sie ebenfalls endlich, daß „Bravheit“ auch quälende Unentschlossenheit sein kann, resultierend aus der Ahnung, daß alles, was an politischen Möglichkeiten vorhanden ist, in seiner tiefsten Struktur völlig falsch angelegt ist. Dagmar Reinhold, Hannover

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