Angst vor Dorfzerstörung in Rumänien

Dissidentengruppen widersprechen westlichen Presseberichten / Ceausescu versetzt BügerInnen in Angst und Schrecken / Rumänische Führung hält an Zwangsumsiedlungen in agroindustrielle Zentren fest / Reißbrettstädte ohne zentrale Wasserversorgung  ■  Von Roland Hofwiler

Berlin (taz) - Im rumänischen Arpahida, zwölf Kilometer südlich von Klausenburg, wird eifrig an Betonbaracken gebaut. Etwa zehn Blocks des neuen agroindustriellen Zentrums waren vergangene Woche bereits „fertiggestellt“, heißt es in der offiziellen Bekanntmachung. Und weiter: Man wundere sich dort, warum die Familien, die neuen Wohnraum zugewiesen bekamen, nicht ihr „neues Domizil“ bezögen. Den aufmerksamen Beobachtern wird der Grund sofort klar: Keines der zehn „bezugsfertigen“ Gebäude verfügt bisher über sanitäre Anlagen. Plumpsklos im „Vorhausgarten“ sollen den zukünfigen Bewohnern für ihre Notdurft dienen. Bisher haben die meisten Wohnungen keinen Wasseranschluß, die Frauen müssen das Wasser vom Brunnen in ihre Wohnungen tragen.

In rumänischen Opposititionskreisen hat die Reportage von Dagobert Lindlau am Wochenende im „Weltspiegel“ der ARD sowie in der neuesten Ausgabe der Wochenzeitung 'Die Zeit‘ für große Aufregung gesorgt. Erstmals sah sich eine Dissidentengruppe, die illegal in Rumänien operiert, eigenen Angaben zufolge gezwungen, in einem illegalen Flugblatt „Stellung zu beziehen gegenüber westlicher Berichterstattung“. Der 'Infodienst der Siebenbürger Ungarn‘ erklärt darin, er habe unter größten Anstrengungen im Sommer eine Liste der Dörfer zusammenstellen können, die im Zuge der wahnwitzigen „Landsystematisierungsmaßnahmen“ von Partei - und Staatschef Nicolae Ceausescu in den nächsten Jahren dem Erdboden gleichgemacht werden sollen. Es sei unfaßbar, daß nun ein angesehener westdeutscher Journalist diese Pläne mit den Worten „dieses Projekt sei ebensowenig realisierbar wie SDI“ negiere, wenn man mit eigenen Augen sehen könne, wie Bauernhäuser abgerissen und die Bewohner „zwangsumgesiedelt“ würden. Es sei nicht, wie Lindlau behauptet, die westliche Presse gewesen, die die Pläne des rumänischen Conducatore (Führers) verbreitete und die Menschen in Rumänien in Schrecken versetzte, sondern die eigene Landespresse. Ceausescu habe in vielen seiner Reden nie ein Hehl aus seiner „Modernisierungspolitik“ gemacht. Der 'Infodienst der Siebenbürger Ungarn‘ bedauert, daß Lindlau, nicht mit Dissidenten gesprochen habe.

Eine weitere Dissidentengruppe aus Klausenburg (Cluj) teilte gestern der taz mit, es gebe keine Anzeichen, daß das Ceausescu-Regime vom Plan der Dorfsystematisierung abweiche. Wie Freunde der verhafteten Regimekritikerin Doina Cornea, die im Frühherbst in einer öffentlichen Petition gegen die Bulldozerpolitik protestierte, erklärten, habe die rumänische Presse erst in den vergangenen Tagen wieder über die Vorteile eine „Landsystematisierung“ berichtet. Mehrere rumänische Zeitungen schrieben, das Dorf Pietrani im Valcea -Bezirk, solle „aufgelöst“ werden. Das gleiche beabsichtige man mit dem Dorf Valea. Die Dissidentengruppe um Doina Cornea berichtete außerdem, daß in den Dörfern Siachioara, Desmir, Juc und Cimpenesti die Menschen mit Angst und Bangen die Pläne ihres Staats- und Parteichefs Ceausescu verfolgten.

Man habe erst wieder in den letzten Tagen mit den Bauern gesprochen, die einstimmig berichteten, Beamte von der Dorfsystematisierungskomission hätten ihnen „Angebote“ gemacht, ihren Kleinhof aufzugeben und freiwillig in ein „städisches agroindustrielles Zentrum“ umzuziehen. Man lehne dies deshalb entschieden ab, da die sogenannten neuen „modernen Wohnblocks“ an „Betonbaracken“ erinnerten. „Wir sind schockiert über die Berichterstattung von Dagobert Lindlau“, erklären Freunde von Doina Corney, „die unserer Meinung nach einer Hofberichterstattung für den uns verhaßten Führer Nicolae Ceuasescu sehr nahe kommt.“