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Angriffe auf Ukraine-FotoausstellungNadelstiche gegen Solidarität

Eine Fotoausstellung in Neukölln zum Krieg in der Ukraine polarisiert. Sie erfährt Kritik und offenen Vandalismus.

Foto: Sebastian Backhaus / Agentur Focus

Berlin taz | Der Kurator David Rojkowski nennt die Beschädigungen „Nadelstiche“: Seit Anfang Oktober wird an der Genezareth-Kirche am Herrfurthplatz in Neukölln die Fotoausstellung „Wir hatten ein normales Leben – Ukraine 2006–2022“ gezeigt. Aber nicht ohne Widerspruch: Es gab Schmierereien an einzelnen der großen Lkw-Planen, auf die die rund 100 Bilder gedruckt sind. Kommentare wie „Scheiß Gehirnwäsche hier“ oder „Wo sind die 14.000 Toten im Donbass (2014–2022) von der Ukraine ermordet?“. Die Ma­che­r:in­nen berichten von Vandalismus, bei dem einzelne der Bildwände mit einem Messer aufgeschlitzt worden seien.

Zur Bildbeschreibung eines Fotos der polnischen Fotografin Justyna Mielnikiewicz, in dem es um die Annexion der Krim durch russische Streitkräfte ging, schrieb jemand korrigierend: „Referendum!“ Ein anderer forderte, es müsse auch eine Ausstellung über die „Kriege der USA und Nato“ gezeigt werden. Eine Plane mit zwei Fotomotiven wurde sogar gestohlen: Auf einem der beiden Bilder überlappen sich bei einer Solidaritätsdemonstration in Rostock die Fahnen der Ukraine und Europas, das andere zeigt eine junge Demonstrantin in Lwiw, die sich „Мир“, zu Deutsch: „Frieden“, auf die Wange tätowiert hat.

Für die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen war das eine neue Erfahrung. Monatelang war die Schau mit Bildern von 21 Fo­to­gra­f:in­nen der Hamburger Agentur Focus und der Brüsseler Agentur Maps zuvor am Mahnmal St. Nikolai in Hamburg zu sehen – mit großer Resonanz und ohne Zerstörungen.

Die Ausstellung sei bewusst „emotional“ konzipiert worden, sagt Rojkowski. Die Kombination aus Archiv-Fotos über Alltagsleben, Arbeit und Freizeit in der Ukraine sowie den Euromaidan-Protesten einerseits und den zum Teil sehr drastischen Bildern über die Zerstörungen nach dem 24. Februar andererseits soll nach seinen Worten dokumentieren, „was durch den Krieg verloren gegangen ist“. Politisch und menschlich habe man sich auf die ukrainische Seite stellen wollen. „Auch wenn es im Leben und der Fotografie kein Schwarz und kein Weiß gibt – der Krieg erfordert diese Positionierung“, sagt der Kurator.

Auch positives Echo

Dass es in Berlin ein wenig komplizierter werden könnte, wurde von den Ma­che­r:in­nen fast befürchtet: Die Ausstellung drehe sich um „ein heißes und kontroverses Thema“, weiß Rojkowski. Das gelte umso mehr, „je weiter wir Richtung Osten gehen“. Umso mehr freue er sich, dass es auch ein überwältigend zustimmendes Echo gegeben habe.

Es gab in den Berliner Wochen der Freiluftausstellung beides: Menschen, die die Ausstellung positiv auffassten – und solche, die sich hörbar ärgerten. Sebastian Backhaus, einer der beteiligten Fotografen, schildert, er sei schon beim Aufbau von einem Passanten angeraunzt worden, der sich über „Russen-Bashing“ und „ukrainische Propaganda“ beklagte. Auch bei der Eröffnung gab es lautstarke Zwischenrufe, berichtet er.

Die Pfarrerin der Genezareth-Kirche, Jasmin El-Manhy, erinnert sich gern, dass beispielsweise Schulklassen die Schau besichtigten und Be­su­che­r:in­nen das Zeichen der Solidarität mit der Ukraine ganz bewusst geteilt hätten. Aber: „Mir war klar, dass diese Ausstellung auch Protest auslösen wird.“

Sie erzählt, dass Menschen zu ihr ins Pfarrbüro kamen und behaupteten, die Ausstellung erzähle „nicht die Wahrheit“. Die gefragt hätten: „Warum lässt die Kirche auf ihrem Boden so etwas zu?“ Und überhaupt: „Warum werden denn weiße Geflüchtete aus der Ukraine so bevorzugt?“ Wobei an Letzterem ja durchaus etwas dran sei, wie die Pfarrerin zugibt. Andererseits zeige die Ausstellung „wirklich eindrücklich, wie zerbrechlich unser Friede ist“. Es sei gut, sie in Neukölln zu haben. Und wenn in der Fotoausstellung dokumentiert wird, was alles in der Ukraine innerhalb weniger Wochen und Monate zerstört worden ist, „kriege ich schon Gänsehaut, wenn ich das erzähle“.

Die Schmierereien wurden weitgehend mit Lackentferner beseitigt. „Wir hatten ein normales Leben“ ist noch bis Mittwoch, dem Buß- und Bettag, in Neukölln zu besichtigen. Von April an geht sie, in einer aktualisierten Version, für ein halbes Jahr nach Potsdam. Dort wird sie dann bei der Landeszentrale für politische Bildung gezeigt – in geschlossenen Räumen.

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