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Angriffe auf GeflüchtetenunterkünfteOhne Brandmauer wird es brennen

Kommentar von Nicholas Potter

Straftaten gegen Geflüchtetenunterkünfte nahmen 2024 wieder zu. Mit der AfD zu paktieren, heißt, diese rechtsextreme Gewalt politisch zu legitimieren.

Rostock-Lichtenhagen 1992 Foto: Jens Kalaene/dpa

D ie Zahlen müssen ein Weckruf sein: Politisch motivierte Straftaten gegen Geflüchtetenunterkünfte steigen wieder. Die Polizei verzeichnete 2024 218 Fälle, 51 mehr als 2023. Bei 28 der Taten geht es um Gewaltdelikte, 14 Personen wurden dabei verletzt, darunter ein Kind. Diese Zahlen gehen aus der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Gruppe der Linken im Bundestag hervor, wie zunächst das Redaktionsnetzwerk Deutschland am Sonntag berichtete.

Die geistigen Brandstifter dieser Anschläge sitzen mit der AfD längst im Bundestag. Und mit Merz’ eher symbolischem Migrationsantrag der vergangenen Woche, den er mit Stimmen der rechtsextremen Partei durchgeboxt hat, beginnt die Brandmauer zu bröckeln. Merz zündelt. Und dabei wird eben diese rassistische Gewalt normalisiert. Die wortwörtlichen Brandstifter außerhalb des Parlaments scheinen die Botschaft der AfD zu verstehen – sie fühlen sich wohl ermutigt.

Im Juni etwa verübte ein mutmaßlicher Rechtsextremer einen Brandanschlag auf eine Asyl-Gemeinschaftsunterkunft im bayerischen Krumbach. Bei einer Hausdurchsuchung fanden Ermittler ein Hakenkreuzbild. Im Juli wurde an einer geplanten Asyl­unterkunft in Leipzig Feuer gelegt und die Wände mit rassistischen „Not Welcome“-Parolen beschmiert. Ebenfalls im Juli versuchte ein Mann, eine Geflüchtetenunterkunft in Stuttgart in Brand zu setzen.

Es gibt etliche weitere Fälle, von Schmierereien bis Sachbeschädigungen, von Beleidigungen bis Bedrohungen. Und die Gewalt geht auch dieses Jahr nahtlos weiter: Anfang Januar warfen unbekannte, mutmaßlich rechtsextreme Täter im thüringischen Schmölln Steine durch die Fenster einer Unterkunft, laut Polizei sollen sie dabei rechtsextreme und rassistische Sprüche an die Hauswand gesprüht haben.

Deutsche Brandstifter

Anschläge auf Geflüchtetenunterkünfte haben in Deutschland leider Tradition. Die Bilder des schwelenden Sonnenblumenhauses in Rostock-Lichtenhagen gingen um die Welt. Der Brand steht für den Auftakt einer Welle rechtsextremer Gewalt, die später in die Geschichtsbücher als Baseballschlägerjahre eingingen. Es folgten weitere Brandanschläge in Mölln, Solingen und vielen weiteren Orten. Doch diese rassistische Gewalt hörte nie auf. Vielmehr hat sie hierzulande eine furchtbare Kontinuität.

2015 erreichte sie mit dem sogenannten Sommer der Migration, als 1,1 Millionen Geflüchtete in Deutschland ankamen, einen neuen schrecklichen Höhepunkt: 94 Fälle von Brandstiftung gegen Geflüchtetenunterkünfte registrierte damals das Bundesinnenministerium.

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Die Amadeu Antonio Stiftung und Pro Asyl zählten sogar 126 Brandanschläge in diesem Jahr. Ab 2022, nachdem Russland in die Ukraine einmarschiert war, kamen weitere 1,1 Millionen Geflüchtete nach Deutschland. Und auch ihre Unterkünfte wurden angegriffen, beschmiert, in Flammen gesetzt. Es waren teilweise dieselben Unterkünfte, die schon ab 2015 angegriffen wurden, die erneut zum Ziel wurden.

Es muss Merz glasklar sein, mit wem er im Bundestag zu paktieren versucht: mit dem parlamentarischen Arm einer rechtsextremen Bewegung, die Gewalt gegen Geflüchtete als legitimes politisches Mittel sieht; mit einer Partei, deren Rhetorik zu dieser Gewalt anstachelt.

Auf parlamentarischer Bühne normalisiert

Darum geht es bei der Bundestagswahl am 23. Februar: Die AfD droht nicht nur stärkste Oppositionskraft zu werden, sondern sogar über 20 Prozent der Stimmen zu holen. Sie könnte unter einer Merz-Kanzlerschaft vor allem beim Thema Migration mehr Macht denn je genießen. Ihre menschenverachtende Politik würde auf parlamentarischer Bühne normalisiert und auf der Straße in realer Gewalt gegen reale Menschen, oft Geflüchtete und Migranten, enden.

Die politische Brandmauer gegen Rechtsextremismus einzureißen bedeutet eben auch, diese Gewalt zu legitimieren. Und das ist eine Schande.

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4 Kommentare

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  • Es ist erschreckend, dass Geflüchtete immer wieder Ziel von Hass und Gewalt werden. Menschen, die vor Krieg und Not fliehen, suchen Schutz, aber begegnen Ablehnung und Angriffen. Wie kann es sein, dass sich in Deutschland erneut Mechanismen des Sündenbocks und der Entmenschlichung zeigen? Natürlich gibt es Herausforderungen in der Migrationspolitik, aber Gewalt gegen Schutzsuchende ist kein Protest, sondern eine moralische Bankrotterklärung. Hass entsteht nicht aus Angst allein. Dieser wird geschürt und instrumentalisiert. Doch warum lassen sich so viele darauf ein? Vielleicht wäre ein erster Schritt, sich selbst zu fragen: Was wäre, wenn ich an ihrer Stelle wäre?

  • Es brennt lichterloh hinter der Brandmauer.



    Das ist das Problem.



    Die AFD hat sich in den Umfragewerten in den letzten 3 Jahren verdoppelt.



    Haben Sie die Rede von Herrn Merz im Bundestag gehört?

  • Ich denke der Begriff "Brandmauer" hat sich eigtl. nach der letzten Woche erledigt, es gibt keine. Auch in der Gesellschaft nicht meiner Meinung nach. Die FDP, Grünen und SPD haben sehr viele Einschränkungen des Asylrechts beschlossen und niemand ist auf die Straße gegangen. Bei den aktuellen Demonstrationen steht nicht der Schutz der Migranten im Vordergrund, sondern die Selbstvergewisserung, dass wir Deutschen keine Nazis sind. Nach dem Motto, "Abschieben ist schon okay, aber nicht durch die Falschen".



    Die Diskussion darum ist auch entlarvend, alle reden über die CDU und AFD, aber ihnhaltlich findet kaum eine Auseinandersetzung mit dem Gesetzvorhaben statt. Wer kann denn garantieren, dass ähnliches später nicht doch mit der Hilfe der SPD oder der Grünen verabschiedet wird?

    • @Moritz Pierwoss:

      "Die FDP, Grünen und SPD haben sehr viele Einschränkungen des Asylrechts beschlossen und niemand ist auf die Straße gegangen."

      Den vielen wolkigen Worten (die sowieso gleich wieder vergessen werden, nicht wahr, Herr Scholz?) folgte: NICHTS!!!

      Ich habe beruflich (Security in einer mittleren Grossstadt) viele junge Kollegen aus Syrien und anderen Nahost-Staaten - durch die Bank tolle, intelligente Kerle mit "heutigen" Einstellungen. Gleichzeitig sehe ich auf den Strassen jede Menge junge Männer aus denselben Herkunftsländern, die, wenn die Scharia auf sie angewendet würde, nichts mehr zu lachen oder sogar zum atmen hätten (Alkohol, Drogen, Diebstahl usw.) ...



      Und wer hat uns das eingebrockt? Diejenige, die jetzt ihrem Nachfolger brutal in den Rücken gefallen ist...