Angriff auf Berlusconi: Der Beinahe-Märtyrer
Silvio Berlusconi wurde im Gesicht verletzt. Doch von wem? Einem verwirrten Einzeltäter? Dem "Klima des Hasses" oder gar von einer kriminellen Vereinigung?
Am Sonntagabend hatte es bloß wie eine hässliche, aber harmlose Verletzung an der Lippe ausgesehen. Doch je länger die Ärzte in der Mailänder Klinik San Raffaele sich mit Silvio Berlusconi befassten, desto besorgter wurde ihr Befund. Das Nasenbein ist angebrochen, zwei Zahnfüllungen sind ausgeschlagen, zudem klagt der Patient über heftige Kopfschmerzen, wirkt auf die Mediziner gelegentlich sogar benommen. Sie beschlossen, Italiens Regierungschef nach der Attacke mit einem Miniaturdom erst einmal dazubehalten.
Dabehalten hat die Justiz ihrerseits den Täter, den 42-jährigen Masimo Tartaglia. Schwere Körperverletzung wird dem Mann aus einem Dorf bei Mailand vorgeworfen. Im Haftbefehl heißt es, der als psychisch gestört Geltende habe den Angriff auf Berlusconi offenbar geplant - schließlich habe er auch ein Pfefferspray in der Tasche getragen. Als Tartaglia am Sonntagabend auf Berlusconi losging, direkt hinter dem Mailänder Dom, bewaffnet mit einem kleinen, aus Marmorstaub gepressten Souvenirdom, da war die Kundgebung des Regierungschefs und seiner Partei Volk der Freiheit schon gelaufen.
Vorsatz stritt Tartaglia in den ersten Vernehmungen rundheraus ab: Er sei auf dem Weg zur U-Bahn gewesen, als das Geschrei von Protestierern ihn angelockt habe. Dann habe er auch schon direkt vor Berlusconi gestanden - und mit seinem Souvenir hingelangt, "aus Aversion gegen Berlusconi und das Volk der Freiheit". Der Vater des Attentäters, in dessen Betrieb Tartaglia arbeitet, ergänzte, die ganze Familie wähle die - gemäßigt linke - Demokratische Partei, keiner inklusive dem manchmal jähzornigen Sohnemann aber sei politisch groß aktiv oder hasse Berlusconi.
Damit könnte man den Fall schnell abhaken als Tat eines mehr oder minder verrückten Einzelgängers - doch das tut keiner. Vom Staatspräsidenten Giorgio Napolitano aus dem linken Lager über Medien bis hin zu den Menschen an der Bushaltestelle oder am Tresen der Kaffeebar pflegen so gut wie alle eine andere Version: Das "Klima des Hasses" sei schuld, die aufgeputschte politische Stimmung, der mehr als bloß gereizte Ton zwischen Berlusconi und seinen Opponenten.
Berlusconi selbst lieferte vor der Attacke wieder ein kleines Beispiel dafür ab, hatte sich auf der Kundgebung nach Kräften über die "roten Richter" und die ihm angeblich fast durch die Bank feindlich gesinnten Medien echauffiert, hatte im Vorbeigehen den Macho gegeben - eine junge Anhängerin musste sich nach ihrer Telefonnummer fragen lassen - und dann richtig gegen Störer auf dem Platz ausgeteilt. "Schande, Schande, Schande", brüllte er ihnen entgegen, ein paar Jungs seiner Parteijugend vermöbelten noch zwei Männer, die Berlusconi ein kräftiges "Buffone", also "Clown" entgegengerufen hatten.
Wenn solche Parteikundgebungen die Norm sind, dann hat Italien in der Tat kein Problem, sich auf den Befund "Klima des Hasses" zu einigen. Ein wenig schwieriger wird aber die Frage: Wer trägt denn nun die Verantwortung dafür? Berlusconi erhielt Solidaritätsbekundungen aus allen politischen Lagern, der Vorsitzende der Demokratischen Partei, Pierluigi Bersani, eilte gar ans Krankenbett - doch dann ging der Krach gleich wieder los. Den ersten Schritt tat Antonio Di Pietro, Vorsitzender der Partei Italien der Werte, die Berlusconi wegen seiner Probleme mit der Justiz, wegen des Verdachts, er sei gar mit der Mafia im Bunde gewesen, besonders heftig angeht. Di Pietro distanzierte sich zwar auch brav vom Zuschlagen, legte dann aber nach: "Berlusconi ist derjenige, der das Klima des Hasses anheizt."
Das brachte Di Pietro sofort eine Strafanzeige ein, von Berlusconi-Staatssekretär Guido Crosetto. Der meint seinerseits, mit dieser letzten Äußerung ebenso mit seinen vorherigen Ausfällen gegen Berlusconi habe Di Pietro "eine kriminelle Vereinigung gebildet" und sei gleichsam der Mann, der den Attentäter ferngesteuert habe. Gelassener wird die Stimmung zwischen den Lagern also auch nach der Attacke auf Berlusconi nicht, ein vorweihnachtlicher Verbalwaffenstillstand zeichnet sich jedenfalls nicht ab.
Auf Facebook hat die Unterstützergruppe für Tartaglia gleich Tausende Anhänger gefunden. Genauso viele aber wünschen den etwas verwirrten Mann zur Hölle. Dabei sollte sich gerade das Berlusconi-Lager über ihn freuen: Als Beinahe-Märtyrer dürfte der Ministerpräsident trotz aller Skandale in den Umfragen kräftig anziehen.
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