: Anfixen mit der Theaterdroge
Geschichten erzählen für Menschen, die keinen Bedarf am Diskurs über den Clash der Kulturen haben, aber mittendrin stecken: das Festival „Beyond Belonging“ am Berliner HAU-Theater. Im Programm: „Romeo und Julia“ von Feridun Zaimoglu
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
„Mein Name tut nichts zur Sache, ich bin ein Kasache“, stellt ein blonder Junge sich vor, einer von 20 Jugendlichen, mit denen die schmale Bühne des HAU 2 in Berlin plötzlich sehr voll aussieht.
Der Regisseur Nuran David Calis hat sie für sein Stück „Homestories – Geschichten aus der Heimat“ ins Schauspiel Essen geholt, im Rahmen des Festivals „Beyond Belonging“ kamen sie jetzt nach Berlin. Der blonde Kasache erinnert sich noch ziemlich genau an eine Kindheit irgendwo in Nordostkasachstan, mit zu wenig Strom, zu wenig Licht, zu wenig Wärme, zu wenig Büchern. Zuverlässige Elektrizität ist einer der Vorteile des Lebens in Deutschland. Auch wenn das neue Zuhause im verschrienen Stadtteil Essen-Katernberg andere Probleme mit sich bringt: zu viele Prügeleien zwischen Russen und Libanesen, zu viele Drogen, zu viel Klauerei.
Das ist so ungefähr, wie die Kids auf ihr eigenes Viertel zurückblicken, nachdem sie sich vorgestellt haben, dass sie sich nach dem Untergang der Welt auf einen fremden Stern retten konnten. Dieser Sprung in die Distanz war nötig, um die wirklich harten Themen auszudeuten. Bis dahin aber haben sie vor allem ihren sehr jungen Charme entfaltet und viel von den Geschichten erzählt, die man sich immer zu erleben wünscht. Die große Verliebtheit, die alles andere vergessen lässt, steht immer an erster Stelle.
Mit dem Essener Gastspiel tanzten so ungefähr jene Menschen auf der Bühne, denen die Sehnsucht der Theatermacher gilt. Geschichten für die zu erzählen, die zwar keinen ausgesprochenen Bedarf an einem Diskurs über den Clash der Kulturen haben, mit 12 oder 14 Jahren aber schon mittendrin stecken. Ihnen will sich das Festival „Beyond Belonging“, vom HAU-Theater in Berlin zum zweiten Mal veranstaltet, besonders widmen. Es macht sich damit für das Lokale und den Blick in den Mikrokosmos stark, weil in ihm das Globale (in Form der Migrationen) seinen Fußabdruck jetzt schon seit zwei, drei Generationen hinterlassen hat.
Die Überraschungen fielen anders aus, als man vermutet hätte, und der Wunsch, sich dem Unbekannten zu öffnen, war manchmal größer als die tatsächliche Ausbeute. Ein Gastspiel aus Istanbul, von der Theatermacherin Emre Koyuncuglu, verblüffte durch Nettigkeit: Die Szenen, die sich alle in einem großen Bett abspielten, ritzten nur die Oberfläche dessen, was man aus Beziehungskämpfen kennt, und waren auch formal ins eher Zierliche gewendet.
Vergangenes Jahr markierten die „Schwarzen Jungfrauen“, deren Monologe von Feridun Zaimoglu & Günter Senkel geschrieben und von Neco Celik in Szene gesetzt waren, den Höhepunkt des Festivals: Denn hier öffnete sich in einer von Wut und intellektuellen Volten vorangetriebenen Sprache tatsächlich ein unbekanntes Terrain. Das ermöglichte Blicke in eine Gefühlswelt, die sich im Leben mit den Widersprüchen zwischen Alltag, Wünschen und Glauben sehr eigene Strategien zurechtgelegt hatte.
Dieses Jahr hat das gleiche Autoren- und Regieteam „Romeo und Julia“ bearbeitet – und ist dabei in einer handlungsbeschleunigten und schnörkellosen Inszenierung gelandet: mit allen Stärken einer Kleinstadtbühne, wie einem wandelbaren und doch nicht allzu teuren Bühnenbild, mit vielen jungen, wenig bekannten Schauspielern (mit Namen türkischer Herkunft) und einem altgedienten Haudegen (als Vater Capulet). Und mit einer Crossgenderbesetzung, der sofort die Zuschauerherzen gehören. Tim Seyfi erledigt in der Rolle der katholischen Amme, die sich mit dem muslimischen Hodscha auf einer Ebene jenseits aller Glaubensfragen gut versteht, die Auseinandersetzung mit klischeehaften Geschlechtszuschreibungen mit dem kleinen Finger.
Das war in seiner Unterhaltsamkeit nicht ganz, was man erwartet hatte, betonten die Ankündigungen doch vor allem das Setting des Liebeskonflikts zwischen einer muslimischen und einer christlichen Familie im türkischen Kreuzberg.
Okay, Ankündigungen sind eben manchmal programmatischer Humbug. Das Theater, als Institution, kämpft um Streetcredibility, und die Leute, die es sich dafür ins Haus holt, schätzen es als bürgerliche Institution viel mehr als es sich selbst. Was Zaimoglu und Celik aus Shakespeare gemacht haben, verlegt alle Regelverstöße in die Sprache und hält sich ansonsten schüchtern an die Konventionen des Theaters. Genau genommen gerade richtig, um jene mit der Theaterdroge anzufixen, die hier nur Langeweile vermuten. Für Schlingensief-Orgien-Gestärkte, die aber auch zu den notorischen HAU-Besuchern gehören, ein eher zu milder Stoff.
Die Kraft des großen Gefühls, die sich über alles hinwegsetzt und dich die kriminelle Energie der eigenen Familie ebenso vergessen lässt wie die Frage nach der Macht über die Stadt, das ist es, was sich die Kinder aus den „Homestories“ genauso wünschen wie Romeo und Julia. Anders als bei Shakespeare merken die beiden am Ende, dass das Konzept Liebe aber nicht über alle anderen Bindungen hinwegtragen kann; insofern endet das Stück pessimistischer als je. Doch diese Botschaft kommt erst am Ende. Bis dahin trägt vor allem die Lust an der respektlosen Sprache, am Fluch, am Obszönen die Schauspieler durch den Text. Sie sind vom Betrieb noch nicht so abgeschliffen, dass sie sich nicht noch berauschen könnten am eigenen Wagemut, dies alles öffentlich und laut zu sagen. Und auf einer Bühne eben, und nicht auf der Straße.