Andreas Rüttenauer Kulturbeutel: Mit der Nostalgiemaschine Fußball wird alles blütenweiß
Den Fans des FC Bayern passt es gar nicht, wie die Mannschaft derzeit über die Plätze läuft. Das liegt nicht nur an der schier unvorstellbaren Serie von drei nicht gewonnenen Spielen hintereinander. Sie sind dabei auch noch schlecht angezogen. Das mintgrüne Bundesligaauswärtstrikot der Münchner gefällt den Fans nicht. Auf einem großen Spruchband haben sie in Berlin darauf hingewiesen, dass die Vereinsfarben laut Satzung Rot und Weiß sind. So wie früher soll es sein, das Outfit der Spieler.
Früher, ja, das waren noch tolle Zeiten. Von denen schwärmen die Fans, auch wenn sie diese gar nicht erlebt haben. Spielernamen aus längst vergangenen Zeiten werden ventiliert. Bulle Roth, das war noch ein Bayernspieler! Einen Schuss hatte der! Und was für ein Name! Der trägt einen Teil der Vereinsfarben im Personalausweis jeden Tag mit sich herum. Das war noch ein Bayer! Einer von früher, wo noch alles besser war im Leben und im Fußball sowieso.
Der Fußball von heute lebt von der Vergangenheit. Mit jedem irren Transfer wird ein Stück Nostalgie mitgeliefert. Ist Neymar der neue Pelé? Das war noch einer! Als der in Schweden bei der WM begonnen hat, die Fußballwelt zu erobern, da haben wir gestaunt, auch wenn wir noch gar nicht auf der Welt waren. Mit jedem spektakulären Tor erinnern wir uns an die geilsten Treffer der Vergangenheit. Vergiss Ronaldo. Der König der Fallrückzieherei kommt aus Deutschland und heißt Fischer. Und auch Jugendliche stimmen in den großen Fischer-Chor ein. Auch sie leben von der Vergangenheit. Sie kennen Vokuhila-Frisuren nur aus historischen Aufnahmen und würden Kicker von einst doch an der Länge ihres Nackenspoilers erkennen. Der Fußball ist eine gigantische Nostalgiemaschine.
Und weil die alte Zeit irgendwie immer gut ist, werden meist nur die schönen Geschichten erzählt. Wer sich einen Champions-League-Spieltag durch die Übertragungen von Sky und Dazn klickt, wird mit Anekdoten regelrecht überhäuft. Da spielt Juventus Turin mit irgendeinenmSpieler, der gerade seinen Vertrag verlängert hat. Schon wissen wir, dass früher der große, alte, ewige Fiat-Boss Gianni Agnelli die Spieler vor Vertragsabschluss mit den Chauffeur hat abholen und zum Friseur kutschieren lassen, auf dass sie frisch gestriegelt zur Vertragsunterzeichnung erschienen. Da hatte der Fußball noch Stil. Wie sich Juventus mit allerlei Schiebereien ein paar Meisterschaften besorgt und Spieler mit verbotenen Mitteln gepäppelt hat, davon reden wir nicht. Die alte Zeit war gut, schon aus Prinzip.
Da wird Ronaldo eingeblendet. Der sitzt wegen einer Sperre auf der Tribüne. Was könnte man über den erzählen? Dass er ein verurteilter Steuerhinterzieher ist? Dass gegen ihn ermittelt wird, weil er von neun Jahren eine Frau vergewaltigt haben soll, was er bestreitet? Bloß nicht! Reden wir von früher! Davon, dass sich Juventus schon für den kleinen Ronaldo interessiert hat, als der noch im Teenageralter für Sporting Lissabon gekickt hat und dass sich der Portugiese deshalb jetzt für einen Wechsel zu dem Klub entschieden hat. Und wie süß der damals ausgesehen hat!
Plötzlich ist einer Im Bild, der glatt so aussieht wie Michel Platini. Er sitzt vor den Bayernbossen Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß auf der Tribüne in der Münchner Arena. Da fällt den Reportern erst mal nichts ein. Eigentlich ist der ehemalige Präsident der Uefa noch bis zum Oktober nächsten Jahres von allen fußballerischen Aktivitäten ausgeschlossen. Kein Kommentar. Nichts. Nicht einmal was von früher. Von Platinis Zeit als Spieler. Da müsste sich doch was finden lassen. Genau, der junge Franzose spielte 1976 beim 1. FC Saarbrücken zum Probetraining vor und wurde als „zu schmächtig“ aussortiert. Nicht lang darauf galt Platini als einer der besten Spieler aller Zeiten. Tolle Geschichte.
Welche Frisur hatte Platini damals eigentlich?
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