Analyse: Wie im Hühnerstall
■ Theo Waigel glaubt nun an die Geldgewinnung aus dem Nichts
Die offensichtlich unlauteren Methoden zur Geldvermehrung hat Finanzminister Theo Waigel schon durch. Man denke nur an seine begehrlichen Blicke auf den Goldschatz in den Tresoren der Bundesbank. Die Barren sollten höher bewertet werden, damit die in Waigels Kassen fließenden Bundesbank-Gewinne üppiger ausfallen. Oder man erinnere sich an den Versuch, die bundeseigenen Telekom-Anteile bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau zu parken. Die offensichtlich legalen Mittel hat Waigel auch schon ausgeschöpft: Zwei Haushaltssperren in diesem Jahr, die Sozialausgaben gekürzt, staatliche Aufträge bis auf die Prestigeobjekte Eurofighter und Transrapid gestrichen, die Abgaben erhöht.
Not macht erfinderisch. Da Waigel und seine Anhänger von dem katastrophal niedrigen Steueraufkomen in diesem und im nächsten Jahr natürlich schon vor den Ergebnissen der Steuerschätzung wußten, haben sie ihrer Kreativität in den vergangenen Wochen freien Raum gelassen. Die DDR-Altschulden im Erblastentilgungsfonds werden 1998 nicht abgetragen (Ersparnis: 6 Milliarden), dafür verschiebt Waigel die Erlöse der diesjährigen Telekom-Privatisierung auf das nächste Jahr (plus 10 Milliarden). Für 700 Millionen will Waigel den Bundesanteil an der Deutschen Ausgleichsbank an die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau verkaufen und für 300 Millionen den Staatsanteil am Hamburger Flughafen. Beim Sparen beschränkt sich Waigel auf die Treuhand- Nachfolgerin und das Bundeseisenbahnvermögen. Bei der Bundesanstalt für Arbeit ist wohl nichts zu holen. Hier wurden schon 4 Milliarden eingespart. Die Arbeitslosenhilfe war in diesem Jahr mit 3 Milliarden Mark längst nicht so teuer wie geplant. Weitere Sozialkürzungen – das weiß auch Waigel – kann er im Wahljahr dem Volk nicht präsentieren. Denn wie sollte er erklären, daß die Steuern hoch, die Sozialabgaben noch höher, die Realeinkommen aber niedriger sind und sein Haushalt dennoch nicht aufgeht.
Das wird er jedoch auch in Zukunft nicht. Denn Waigel schafft lediglich weitere Schattenhaushalte. Die Schulden verschiebt der gescheiterte Alchimist. Denn selbst wenn er – wie verabredet – dieses Jahr nur 71,2 Milliarden Mark Schulden aufnimmt und 1998 mit 57 Milliarden an neuen Krediten auskommt, werden seine Einnahmen aus Steuern doch weiter sinken. Mit Geld ist es ja wie mit Hühnern: Sie vermehren sich im eigenen Stall nur, wenn man welche hat. Waigel jedoch hat nur Schulden. So hat die Regierung auch weiterhin keinen Spielraum, um dringend benötigte Investitionen in das Bildungssystem oder in die Entwicklung zukunftsfähiger Energien zu tätigen. Die Steuerreform rückt ebenfalls in weite Ferne, selbst wenn sie seit der Steuerschätzung in Bonn wieder aus der Ablage gekramt wurde. Doch sie ist schlicht und einfach nicht bezahlbar. Ulrike Fokken
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