Analyse: Dublin bootet Sinn Fein aus
■ Die irische Regierung macht gemeinsame Sache mit den Unionisten
Das jüngste Opfer im Nordirland-Konflikt war noch nicht beerdigt, da gab es erneut einen Toten: Der 55jährige Katholik Benedict Hughes wurde vorgestern vor seiner Arbeitsstelle in einem protestantischen Viertel Belfasts durch fünf Schüsse ermordet. Bei zwei weiteren Anschlägen wurden ein Protestant und ein katholischer Taxifahrer schwer verletzt. Hinter allen drei Fällen soll die Loyalist Volunteer Force (LVF) stecken, vermutlich unter Mithilfe der Ulster Defence Association (UDA). Davy Adams, Sprecher des politischen Flügels der UDA, sagte gestern jedoch, die UDA habe ihm versichert, daß ihr Waffenstillstand intakt sei.
Auch die Irisch-Republikanische Armee (IRA) hält die Waffenruhe nach wie vor ein. Allerdings verurteilte die Organisation am Mittwoch das anglo-irische Diskussionspapier als Grundlage für die Mehrparteiengespräche. Das „pro-unionistische Dokument“ habe „den Friedensprozeß in die Krise“ geführt. Die britische Regierung müsse den Schaden, den sie angerichtet hat, beheben, heißt es in der Erklärung.
Man kann nur spekulieren, ob das ein Vorbote für den Griff zu den Waffen ist. Die Situation hat fatale Ähnlichkeit mit den Ereignissen Ende der sechziger Jahre, als der Konflikt offen ausbrach. Die IRA, die nur noch in Rudimenten existierte, reorganisierte sich, weil loyalistische Mordkommandos die katholischen Wohnviertel terrorisierten. Die Polizei machte oftmals gemeinsame Sache mit den Loyalisten. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Mit jedem toten Katholiken wächst der Druck, wieder zu den Waffen zu greifen.
Doch der IRA-Waffenstillstand ist nicht nur wegen der loyalistischen Mordanschläge in Gefahr, sondern auch aufgrund der Haltung Dublins. Die irische Regierung hat die Glaubwürdigkeit der Sinn-Féin-Führung um Gerry Adams und Martin McGuinness unterminiert, indem sie das nach den loyalistischen Morden schnell zusammengezimmerte anglo-irische Diskussionspapier vor der Veröffentlichung zwar David Trimbles unionistischer Partei vorgestellt hat, jedoch nicht Sinn Féin und der sozialdemokratischen SDLP.
Es war aber nicht zuletzt die „pan-nationalistische Front“ aus Sinn Féin, der SDLP und der irischen Regierung, die die IRA-Führung dazu bewogen hat, ihr Ziel mit politischen Mitteln zu verfolgen. Dieses Bündnis ist nun zerbröckelt, und nicht nur bei IRA-Anhängern macht sich der Verdacht breit, daß Adams und McGuinness hereingelegt worden sind. Wenn die IRA in ihrer Erklärung nur London attackiert, so deutet das darauf hin, daß sie noch auf eine Umkehr Dublins hofft. Sollte jedoch die irische Regierung gemeinsam mit der britischen weiter eine so deutlich pro-unionistische Politik betreiben, um Trimble bei der Stange zu halten, ist der Friedensprozeß nicht mehr zu retten. Ralf Sotscheck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen