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AnalyseGriff in die Kasse

■ Die Begehrlichkeiten auf die Beitragssätze der Pflegekasse wachsen

Auf den ersten Blick scheint der Wunsch der FPD, den Beitrag zur Pflegeversicherung zu senken und somit die Lohnnebenkosten zu entlasten, gar nicht so abwegig. In der Kasse hat sich ein Polster von 9,5 Milliarden Mark angesammelt, fünf Milliarden mehr als gesetzlich vorgeschrieben. Ende des Jahres, so schätzt die FDP, sollen es elf Milliarden Mark sein. Eine Beitragssenkung von 1,7 auf 1,5 Prozentpunkte ließ die Reserve jährlich um 3,6 Milliarden Mark schmelzen. Mit der Entlastung der Arbeitskosten will die FDP den Arbeitgebern ein Signal senden. Womöglich ließen diese ja im Gegenzug ein paar Jobs springen. Der FDP aber würde sie einen Wahlkampfschlager bescheren.

Mit ihren Parolen vergrätzen die Liberalen ihren Regierungspartner. Bundeskanzler Kohl lehnte die Beitragssenkung gestern rundweg ab. Er sei sehr froh, daß die Pflegeversicherung als Teil des Sozialsystems offensichtlich funktioniere, sagte Kohl. Wegen des Finanzpolsters lasse er sich keine grauen Haare wachsen. Kohl und der Pflegeminister Blüm haben noch die desaströsen Versuche im Kopf, mit denen sie den Anstieg zu Arbeitslosenversicherung kaschieren wollten. Vor sieben und noch einmal vor fünf Jahren senkten sie deswegen die Beiträge zur Rente. Hernach schmolzen die Rücklagen so sehr, daß sie im vergangenen Jahr auf den Rekordsatz von 20,3 Prozent angehoben werden mußten. Eine systemgefährdende Rentendebatte folgte. Einen ähnlichen Fehler wollen sie nicht wieder machen.

Sie wissen, wer heute ungeniert in die Sozialkassen greift, gefährdet das System. Hinsichtlich der Folgen für die Pflegeversicherung stärkt ihnen ein noch nicht veröffentlichtes Gutachten den Rücken. Die Enquetekommission „Demographischer Wandel“ weist darauf hin, daß in Zukunft die Zahl derer, die Pflege benötigen werden, dramatisch steigt. Damit die Pflegeversicherung kostendeckend arbeiten kann, muß nach Ansicht der Verfasser bereits in zwei Jahren der Beitragssatz auf 1,87 Prozentpunkte angehoben werden. Die Autoren des Berichts, die Professoren Eberhard Wille und Günter Neubauer, befürchten, daß die Einnahmen schon in Kürze drastisch wegbrechen. Die Pflegeversicherung gerät ihrer Meinung nach somit zweifach unter Druck: sinkende Einnahmen bei steigenden Ausgaben. Damit verbindet sich jedoch die Frage, ob die Pflegekasse auf Dauer überhaupt gehalten werden kann.

Dies jedoch scheint weder die FDP noch die CDU zu interessieren. Die FDP verlangt rasch nach einem Wahlslogan für den kommenden Monat. Die CDU weiß, daß das Finanzpolster gebraucht wird, um den gegenwärtigen Beitrag zur Pflegekasse zumindest auch im Wahljahr stabil zu halten. Mehr Sozialpolitik interessiert nicht. Annette Rogalla

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