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Analyse"Tudjman - Saddam"

■ Kroatiens Arbeiter demonstrieren gegen die "Regierung der Diebe"

Trotz Demonstrationsverbotes und eines noch nie dagewesenen Polizeieinsatzes gingen am Freitag abend Zehntausende von Menschen auf in Zagreb auf die Straße, um gegen die Wirtschaftspolitik und Arbeitslosigkeit zu demonstrieren. Zielscheibe des Protestes war der kroatische Präsident Franjo Tudjman und die Regierung der herrschenden Partei HDZ, die für die miserablen Lebensbedingungen der Arbeiter, Rentner und Arbeitslosen verantwortlich gemacht wurden. Sprechchöre wie „Tudjman – Saddam“, „Ihr seid alle Diebe“ klangen den Delegierten des gleichzeitig tagenden Kongresses der regierenden Partei HDZ in den Ohren.

Besonders unangenehm für die HDZ und Tudjman war der Umstand, daß die Demonstration nicht von den Oppositionsparteien, sondern von der bisher regierungstreuen Gewerkschaft USBR organisiert worden war. Drei regionale Gewerkschaften aus Istrien und anderen Landesteilen schlossen sich dem Demonstrationsaufruf an. Bei der Demonstration entlud sich der lange Zeit aufgestaute Unmut über den selbstherrlichen Regierungsstil des autoritären Präsidenten, die Bereicherungsmentalität der regierenden Partei und die sozialen Mißstände, die sich aus der Wirtschaftsreform ergeben. Daß viele Industriebetriebe für symbolische Summen an führende Mitglieder der HDZ vergeben wurden, daß sich das Privatvermögen des Präsidenten und seines Familienclans jetzt auf mehr als eine Milliarde Mark belaufen soll, hat Ärger und Widerstand hervorgerufen.

Nicht nur die Arbeiter, auch Privatunternehmer, die nicht in der herrschenden Partei sind, haben mit hohen Steuern und Abgaben zu kämpfen. Durch Gesetze und die staatliche Politik würden die Interessen der neuen Nomenklatura geschützt, lauten deren Klagen. Das Land brauche aber Investitionen, Innovationen, eine Aufbruchstimmung, um sich langfristig in die Europäische Union integrieren zu können.

Die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 22 Prozent hatte schon zu Jahresbeginn zu erheblicher Unruhe geführt. Die Proteste der Arbeiter, die sich im ehemaligen Jugoslawien eines relativ hohen Lebensstandarts und vieler Mitbestimmungsrechte erfreuen konnten, stellt einen Wendepunkt in der kroatischen Innenpolitik dar. Dem Staat stehen zwar 30.000 Polizisten, einige tausend Mann Spezialpolizei und fünf Geheimdienste zur Verfügung, Tudjman kann es sich jedoch nicht leisten, allein mit Repression auf die Forderungen jener zu reagieren, die bisher zu seinen Anhängern gehörten. Daß sich die Oppositionsparteien zurückgehalten haben, kann sich als ein kluger Schachzug erweisen. Eine von den Gewerkschaften getragene unabhängige Volksbewegung hat größere Chancen, Tudjman in Bedrängnis zu bringen, als eine Bewegung, die von den keinesfalls übermäßig populären Köpfen der Opposition geleitet würde. Erich Rathfelder

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