Analyse: Schlichte Ziele
■ Die Gewerkschaft ÖTV muß ihren Mitgliedern den Verzicht verkaufen
Kühl und kurz gab sich der Schlichter: Ja, die Verhandlungen würden zwölf Tage dauern. Die Ausgangssituation sei „kompliziert“. Er sei „nicht pessimistisch“. Der Ton, den Schlichter Hans Koschnick anschlug, verrät etwas über das Schlichtungsverfahren im öffentlichen Dienst: Es ist eine pragmatische, weniger eine politische Angelegenheit. Während Tarifverhandlungen von Kampfgetöse begleitet sein müssen, geht es in Schlichtungsverhandlungen technokratischer zu. In den Tarifverhandlungen treffen die Gewerkschafts- und Arbeitgeberspitze aufeinander, ÖTV-Chef Herbert Mai und Innenminister Manfred Kanther. In den Schlichtungsgesprächen dagegen sitzen sich nur Verhandlungspartner der „zweiten“ Ebene gegenüber. Sie machen die Kärrnerarbeit.
Wenn Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst scheitern, hat jede Seite das Recht, den Schlichter anzurufen. Dies haben die Arbeitgeber getan. In der Schlichtungskommission sitzen jeweils neun Vertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaften. Zwei unparteiische Vorsitzende leiten die Kommission, jede Seite hat einen davon benannt. Die Arbeitgeberseite hat den ehemaligen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Carl-Ludwig Wagner (CDU) geschickt, die Gewerkschaften den ehemaligen Bremer Bürgermeister Hans Koschnick (SPD). In jedem Verfahren ist aber nur einer der beiden Vorsitzenden stimmberechtigt. Diesmal ist es der Abgesandte der Gewerkschaftsseite, der 68jährige Koschnick.
Es brächte jedoch nichts, wenn die Schlichtungskommission nur mit den Stimmen der Gewerkschaftsvertreter und der Stimme Koschnicks eine Empfehlung verabschieden würde, die den Arbeitgebern widerstrebt. Schlichtungsergebnisse müssen hinterher immer noch von den Chefs der Tarifparteien gebilligt werden. Der Einigungsdruck ist stark, eine tatsächlich gemeinsame Empfehlung herauszugeben. Dieser Einigungsdruck ist auch ein Vorteil, wenn ein mageres Ergebnis der eigenen Klientel verkauft werden muß. Es ist einfacher für die ÖTV-Spitze, bescheidene Lohnsteigerungen und Einschnitte in der Altersversorgung ihrer Mitgliedschaft zu vermitteln, wenn dies das Ergebnis einer Schlichtung ist. Das wird dann möglicherweise nicht – wie bei Tarifverhandlungen – symbolisch nur mit der ÖTV-Spitze selbst verknüpft. Allerdings führt die Basis immer ein Eigenleben, wie der Streik 1992 zeigte.
Innenminister Kanther will die Lohnerhöhungen mit der Alterszusatzversorgung verrechnen, also weniger als die Preissteigerungsrate gewähren. Und er will an das Krankengeld. Das erste ist kaum zu vermitteln, das zweite höchst unpopulär. Genau das wird die Schlichtungskommission berücksichtigen müssen. Barbara Dribbusch
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