Analyse: Die schnellen ABM
■ ABM-Boom vor der Wahl hilft den Erwerbslosen nur kurzfristig
Wenn BA-Präsident Bernhard Jagoda heute die neuesten Arbeitslosenzahlen verkündet, erzählt er schon Bekanntes. Im Vergleich zum Vormonat ist die Zahl der Arbeitslosen im Juni in Deutschland um 122.000 zurückgegangen, im Osten registrierten die Arbeitsämter 70.400 weniger Erwerbslose als im Vormonat. Jagoda wird daher vor allem eine Frage beantworten müssen: Inwieweit ist der Aufschwung am Arbeitsmarkt konjunkturbedingt, und inwieweit handelt es sich um einen künstlichen Aufschwung, kurz vor der Wahl politisch inszeniert?
Der Rückgang der Arbeitslosenzahlen im Osten ist nach Datenlage vor allem der expansiven Arbeitsmarktpolitik geschuldet. Im Vergleich zum Vormonat stecken rund 70.000 Erwerbslose mehr in AB-Maßnahmen, auf bezuschußten Stellen der sogenannten Strukturanpassungsmaßnahmen (SAM) und in Weiterbildungskursen. Im Westen hingegen sanken die Arbeitslosenzahlen vor allem konjunkturbedingt, nicht mal um 5.000 wurden ABM-Stellen und Weiterbildungsplätze hier aufgestockt. Der ABM-Boom im Osten ist sichtbar: Im brandenburgischen Neuruppin etwa werden die Hecken sorgfältiger gestutzt und die Parkwege öfters geharkt, ein ehemaliger Arbeitsloser erstellt eine Ortschronik, andere helfen im örtlichen Waldmuseum. In Berlin dürfen sich alte Leute über neue EinkaufshelferInnen freuen. Auf S-Bahnsteigen tummeln sich FahrgastbetreuerInnen.
Der positive Trend bei Weiterbildungskursen und ABM ist weniger eine Frage der konkreten Aufstockung in den Arbeitsämter-Haushalten als vielmehr eine Folge der rigiden Sparpolitik von 1997. Damals wurden die Maßnahmen über Gebühr heruntergefahren, weil die Arbeitsämter sparen sollten. Wegen der Maastricht-Kriterien wollte der Bund nichts mehr zuschießen. Milliarden blieben daher aus den Arbeitsämter-Haushalten übrig, und die sollen jetzt ausgegeben werden: eine gute Wahlkampfhilfe für die Regierung.
Für die Betroffenen ist der Maßnahme-Segen gut, strukturell aber unzulänglich. So werden in Berlin beispielsweise überproportional viele ABM-Stellen für Akademiker, etwa in den sozialen Diensten, eingerichtet. Diese Stellen sind schneller aus dem Boden zu stampfen als ABM-Plätze für Ungelernte im Handwerk. Die handwerklichen ABM-Stellen nämlich werden nur auf langem bürokratischem Wege bewilligt, weil die privaten Betriebe die Konkurrenz fürchten. Die Bewilligungen sind oftmals vor der September-Wahl nicht zu schaffen, also bemüht man sich vielerorts gar nicht. Im kommenden Jahr, so vermuten Arbeitsamts-Experten, geht dann das Spiel von 1997 wieder los: Die ABM-Bewilligungen sinken. Die Projekte zittern. Wie gehabt. Barbara Dribbusch
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