Analyse: Gegen Bürgernähe
■ Portugiesen lehnen Referendum über eine Regionalisierung ab
Die Angst vor „noch mehr“ Verwaltung und einer teuren Administration hat in dem an Bürokratie und Zentralismus gewöhnten Portugal über die Verheißungen eines bürgernahen Staatsmodells gesiegt. Die von der sozialistischen Regierung mit Unterstützung der Kommunisten (PCP) propagierte „sanfte“ Regionalisierung des Landes – Aufteilung des Territoriums in acht Verwaltungsbezirke mit bürokratischen, nicht aber politischen Kompetenzen – wurde am Sonntag in einer Volksabstimmung mit 63,5 Prozent Neinstimmen abgelehnt. Die Beteiligung lag bei nur 49,2 Prozent.
Das ablehnende Votum der rund 4 Millionen Portugiesen ist nicht als Absage an überschaubare Verwaltungseinheiten zu verstehen, die das „Europa der Regionen“ bilden. Das Referendum war zum Zankapfel der Parteien geworden; mangelnde Information und das Mißtrauen gegenüber dem unbekannten Neuen hatten die Reformpläne zum Scheitern verurteilt. „Wir sind so wenige“, lautete ein oft wiederholtes Argument, „daß die Regionalisierung unsere Kräfte teilen und schwächen würde.“ Die von den regierenden Sozialisten (PS) in ihrem Wahlprogramm 1995 als „Jahrhundertreform“ gepriesene Dezentralisierung ist eigentlich die Umsetzung einer Verfassungsbestimmung aus dem Jahr 1976, die von einer Republik der „autonomen Regionen“ spricht. Was aufgrund der Entfernungen zu Madeira und den Azoreninseln als „administrative Notwendigkeit“ dort bereits verwirklicht ist, sollte auch dem Festland zugute kommen: die Schaffung einer aus zwei Organen (Versammlung und Rat) bestehenden Regionalinstanz, die die politische Kluft zwischen der Zentralregierung in Lissabon und den Gemeinden schließen sollte. Die Tatsache, daß Madeira per Flugzeug schneller zu erreichen ist als eine entlegene Gemeinde auf dem Festland, dürfte die Regierung beflügelt haben: Bürgernähe und die raschere Befriedigung der Bedürfnisse auf lokaler Ebene wurden als Argumente für die Reform genannt.
Nachdem das erste Referendum über die „Fristenlösung“ im vergangenen Juni nur 32 Prozent der Wahlberechtigten zur Stimmabgabe bewegte, haben sich am vergangenen Sonntag – nach einem eindringlichen Aufruf von Präsident Jorge Sampaio – 49,2 Prozent der Stimmberechtigten beteiligt. Das mangelnde Interesse ist für die Befürworter der „direkten“ Demokratie in Portugal entmutigend. Ergebnisse von Volksabstimmungen sind erst bei einer Beteiligung von über 50 Prozent auch für das Parlament „bindend“. Obwohl das Resultat auch für den sozialistischen Premierminister Antonio Guterres eine Niederlage bedeutet, ist in Lissabon weder von Regierungskrise noch einem Popularitätsverlust für Guterres die Rede: Für die spätestens in einem Jahr fälligen Parlamentswahlen bleibt er Favorit. Josef Manola
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