Analyse: Rühe nach Kiel
■ Nur ein Erfolg auf Landesebene kann Rühes politische Karriere retten
So hatte Volker Rühe sich den Start ins nächste Jahrtausend nicht vorgestellt. Mindestens als Verteidigungsminister hätte der machtbewußte CDU-Politiker gern in Berlin residiert. Aber auch Ambitionen auf das Amt des Bundeskanzlers wurden von ihm nie dementiert, ohne daß ein feines Lächeln zugleich andeutete, allzu ernst möge sein Gegenüber den Widerspruch nicht nehmen.
Flüchtige Träume. Nach den Bundestagswahlen sieht die Realität anders aus. Wenn der 56jährige beim Kampf um höhere Weihen im Rennen bleiben will, dann muß er jetzt die Mühen der Ebene durchlaufen.
Nach langem Zögern hat Rühe nun aus dieser Erkenntnis die Konsequenzen gezogen. Gestern gab der schleswig-holsteinische CDU-Landesvorsitzende Peter Kurt Würzbach bekannt, daß der Bonner Parteifreund im Frühjahr 2000 als Spitzenkandidat bei den Landtagswahlen gegen Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) antreten wird.
Bisher hat Volker Rühe sich für Landespolitik nie interessiert. Noch im Oktober wies der Umworbene die Kandidatur mit dem Hinweis zurück, er wolle künftig im Bundestag im Bereich der Außenpolitik arbeiten. Die große, weite Welt lockt eben mehr als die Provinz. Langfristig ist aber auch für Rühe das eine nicht ohne das andere zu haben.
Spitzenpolitiker der Union bescheinigen ihm, sowohl als Minister wie auch schon zuvor als CDU-Generalsekretär erfolgreich gewesen zu sein. In den Medien wird er schon länger als einer der aussichtsreichsten Bewerber für die nächste Kanzlerkandidatur gehandelt.
Das reicht nicht. Rühe, der aus dem winzigen Hamburger Landesverband stammt, verfügt in der eigenen Partei über eine allzu kleine Hausmacht. Profil hat er weniger mit dem vergleichsweise liberalen hanseatischen CDU-Kurs gewonnen als vielmehr mit Positionen, die ihn bei der Schwesterpartei CSU zum gerngesehenen Gast werden ließen.
Aber eben nur zum Gast. Auch der bayerische Ministerpräsident und designierte CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber sieht sich noch nicht auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn angekommen, und so muß Volker Rühe darum ringen, die derzeit überschaubar kleine Zahl seiner Anhänger in der eigenen Partei zu vergrößern. Zu schaffen ist das nur mit einem Wahlsieg in einem Flächenstaat, der den bislang ausstehenden Beweis erbringen würde, daß der CDU-Politiker eigene Mehrheiten holen kann.
Der ehemalige Verteidigungsminister spielt mit hohem Einsatz. Von der Affäre um den ehemaligen Ministerpräsidenten Uwe Barschel hat sich die schleswig-holsteinische CDU nie erholt. Seit 1988 regiert in Kiel die SPD, seit 1996 Heide Simonis als Chefin einer rot-grünen Koalition. Verliert Rühe die Wahl, dann muß er seine Hoffnungen wohl endgültig begraben. Gewinnt er, dann ist er auch der Macht in Berlin ein gutes Stück näher gerückt.
Die Kieler Parteifreunde sollen ihm bereits jetzt zugesagt haben, sich seiner möglichen Kanzlerkandidatur im Jahr 2002 nicht zu widersetzen. Bettina Gaus
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