Analyse des Aufstiegs der Kaczynski-Zwillinge: Nach dem polnischen Albtraum

Reinhold Vetter analysiert in "Wohin steuert Polen?" genau, was den Aufstieg der Kaczynski-Zwillinge begünstigte und wie sie ihre Macht festigten.

Wer fassungslos das Treiben der Kaczynski-Zwillinge in Polen verfolgt hat, dem wird die Arbeit Reinhold Vetters "Wohin steuert Polen" eine willkommene Verständnishilfe bieten. Vetters Buch enthält, anders als der Titel vermuten lässt, keine Spökenkiekerei, sondern genaue Analysen. Thematisiert werden die Bedingungen, die den Aufstieg der Zwillinge begünstigten, und die Herrschaftstechniken, mit deren Hilfe sie ihre Macht befestigen wollten. Den ersten Schritten der neuen Regierung Donald Tusks ist eine abwägende Schlussbetrachtung gewidmet.

Vetter arbeitet heraus, dass die nationalchauvinistische, mit sozialer Demagogie unterfütterte Ideologie der Kaczynski-Brüder von den ungelösten Problemen der Übergangsgesellschaft profitierte. Jahrelang verschleppten die liberaldemokratischen Regierungen der Zeit nach 1989 eine "Aufarbeitung" der realsozialistischen Herrschaft einschließlich der Spitzeldienste für den Geheimdienst.

Diese Versäumnisse dienten den Kaczynskis als Beweismaterial für ihre Hauptthese, wonach die Kollaboration der liberalen Demokraten und der Postsozialisten das polnische Volk um die Früchte seines Freiheitskampfs gebracht habe. Weitere Munition erhielten die Zwillinge dank der Bestechungsskandale während der Regierungszeit der Postsozialisten, die Polen in einen Sumpf der Korruption verwandelt hätten. Die ökonomischen Härten des Übergangs haben nach Vetter das kapitalismuskritische Auftreten der Zwillinge begünstigt. Er hält deren Kritik jedoch für substanzlos. Hier ist ein Fragezeichen angebracht. Denn die soziale Demagogie der Kaczynskis profitierte davon, dass die liberalen Regierungen sich um die Lebensbedingungen der Armen nicht geschert hatten.

Vetter beschreibt präzise den Einsatz der "Geschichtspolitik" für eine Festigung des "Polentums" nach innen und außen, worunter die Warnung vor einer angemaßten Opferrolle der Deutschen ebenso fällt wie die fehlgeschlagene "Quadratwurzel"-Operation zur Minderung des deutschen Einflusses auf den EU-Rat. Weniger bekannt und deshalb umso verdienstvoller ist Vetters Analyse der "Machtübernahme" durch die Zwillinge, ihres Versuchs, die Staatsinstitutionen mit ihren Leuten zu besetzen. Die Kaczynskis scheuten nicht vor Verfassungsbruch zurück. Und sie konnten bei vielen ihrer Maßnahmen auf die Zustimmung der liberalen Opposition zählen. Allerdings erwuchs ihnen nach anfänglicher Sprachlosigkeit eine Opposition aus dem Milieu der demokratischen Intelligenzija, die schließlich zum Meinungsumschwung führte und dem Albtraum ein Ende setzte.

Reinhold Vetter: "Wohin steuert Polen? Das schwierige Erbe der Kaczynskis". Verlag Ch. Links, Berlin 2008, 208 Seiten, 16,90 Euro

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