Amyotrophe Lateralsklerose: Mit dem Rollstuhl um die Welt

Der an ALS erkrankte Jan Grabowski schaut optimistisch in die Zukunft. Über die Ursachen der Krankheit rätseln die Ärzte und Biologen noch immer.

ALS ist eine degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems, die einen Muskelschwund verursacht. Bild: photocase/ohneski

In einem elektrischen Rollstuhl um die Welt reisen - das ist der Traum des fast vollständig gelähmten Jan Grabowski. Aber schon bei einem kurzen Flug nach Mallorca bekam der Muskelschwache kaum noch Luft. Trotzdem lässt der 45-jährige Berliner sich die Reiselust nicht nehmen.

Lallend und schwer atmend erklärt er: "Angefangen hat es bei mir, als ich immer öfter scheinbar das Gleichgewicht verlor. Über kleinste Bodenunebenheiten stolperte ich, die Kraft in den Händen ließ unerklärbar nach."

Jan Grabowski leidet an der bis heute unheilbaren Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS. Dabei handelt es sich um eine degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems. Die Symptome der ALS sind auf eine Rückbildung von für die Muskelbewegungen zuständigen Nervenzellen - sogenannte Motoneuronen des zentralen Nervensystems - zurückzuführen. Diese Nervenzellen versorgen die Muskulatur mit Nervenreizen.

Ihre Degeneration führt zu einer Abnahme der Nervenreize, was Muskelschwund verursacht. Die Symptome sind Kraftlosigkeit und Bewegungseinschränkung bis hin zur vollständigen Lähmung. Bei fortgeschrittener ALS kommt es regelmäßig zu einer Schwächung der Atemmuskulatur.

Die eingeschränkte Lungenfunktion (respiratorische Insuffizienz) ist die wichtigste Ursache der kurzen Lebenserwartung der ALS-Patienten. Innerhalb von nur drei bis fünf Jahren kann es zur vollständigen Lähmung der gesamten Willkürmuskulatur kommen.

Ursache bisher ungeklärt

Über die Ursachen der Krankheit rätseln die Ärzte und Biologen noch immer. Lediglich zehn Prozent der Erkrankten hätten einen nachweisbaren Gendefekt, sonstige Ursachen sind völlig ungeklärt. ALS-Kranke sind zur Erhaltung ihrer Lebensqualität unbedingt auf technische Hilfsmittel wie Rollstuhl und Sprachcomputer angewiesen.

Für Jan Grabowski ist das Internet der Schlüssel zur Außenwelt. Wenn er in seiner Potsdamer Wohnung seiner Arbeit nachgeht, blicken seine Augen auf einen kleinen Monitor in Kopfhöhe. Eine Bildschirmtastatur ersetzt die Schreibtastatur für die Bedienung aller Standardprogramme. Die Zeicheneingabe erfolgt durch seine Kopfbewegungen und durch Verweilen auf der Taste.

Mehr Lebensqualität durch die Krankheit

Sein Lebensglück ist ungetrübt: "Ich bin mit der Krankheit ALS glücklicher, als ich es als gesunder Mensch war", erzählt er. Jetzt hat er einen großen Sinn im Leben - ALS-Mobil e. V. und seine Frau. "Seit ich meine Krankheit akzeptiert habe, lebe ich intensiver, konzentriere mich auf Personen und Dinge, die mich glücklich machen."

Das ALS-Mobil ist ein Verein, der Gelähmten das Reisen wieder möglich macht. 2004 hat der Gesetzgeber entschieden, dass ALS-Patienten ihr Pflegebudget auch selbst einteilen können. Zum Thema Pflegehilfe bietet der ALS-Experte Grabowski bei ALS-Mobil e. V. im Netz Informationen an.

Anders als erwartet, liegt die subjektive Lebensqualität der an ALS Erkrankten bei 66 bis 72 Prozent. Das liegt in einem mit gesunden Menschen vergleichbaren Bereich. Die ALS-Experten Lulé, Häcker, Ludolph, Birbaumer und Kübler stellten nach zahlreichen Untersuchungen fest: Je höher die subjektive Lebensqualität, desto niedriger die Depressivität.

In ihrem Artikel "Depressionen und Lebensqualität bei Patienten mit Amyotropher Lateralsklerose", veröffentlicht im Deutschen Ärzteblatt im Mai 2008, kommen sie zu dem Ergebnis, "dass eine befriedigende Lebensqualität ohne depressive Symptomatik in jedem Stadium der ALS möglich ist".

Im Rahmen einer neueren Studie der Ulmer Arbeitsgruppe um den ALS-Experten Professor Albert Ludolph befragte die Psychologin Sonja Sorg 65 Patienten über ihre Lebensqualität. Sie kam zu einem überraschenden Ergebnis. Bei fortgeschrittener ALS nahm der Suizidwunsch der Patienten durchschnittlich ab und der Lebenswille wurde sogar stärker.

Die Psychologin bestätigt: "Der Wille, den eigenen Tod zu beschleunigen, ist bei ALS-Patienten nur ganz schwach ausgeprägt und nimmt im Krankheitsverlauf sogar noch ab."

24 Stunden am Tag betreut ein spezielles Pflegeteam Jan Grabowski. Respekt vor weiteren Einschränkungen, die sicher auf ihn zukommen werden, hat er schon, aber keine Angst. "Die Pfleger müssen eben fit gemacht werden", lacht er.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.