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Archiv-Artikel

Im B-Movie sind im November Filme von Ulrich Seidl zu sehen Amüsiert oder angeekelt

Das Programm-Faltblatt nennt ihn einen „Dokumentarfilm-Extremisten“. Ein regelmäßig gegen Ulrich Seidl vorgebrachter Einwand ist, er missachte die entscheidende Grenze zwischen Abbilden und Herbeiführen; seine „Dokumentarfilme“ genügten nicht den zu erwartenden Wahrhaftigkeits-Ansprüchen. Spätestens seit er 2001 in Venedig den „Großen Preis der Jury“ für Hundstage bekam, lässt Seidl indes keine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen, dass ihn die traditionelle Unterscheidung zwischen den Gattungen schlicht nicht interessiere – er drehe lediglich Filme „über das, was mich beschäftigt“.

Sechs dieser Beschäftigungen bringt das B-Movie nun auf die Leinwand, darunter selten oder nie im Kino gezeigte Arbeiten. Zum Auftakt Hundstage, Seidls bisher einzigen „richtigen“ Spielfilm, besetzt wiederum größtenteils mit Laien. Die stellen zwar nicht sich selbst dar, kennen sich aber auch im wahren Leben aus in der Ödnis der westlichen Welt, wie Seidl sie in einer Wiener Retorten-Vorstadt gerinnen lässt. Ob die gezeigten Figuren, allesamt im Begriff, am Leben zu scheitern, nun durch echte Begebenheiten inspiriert sind oder bloß mit einigem Wissen um das menschliche Zusammenleben ersonnen, ist Nebensache: Als Tatsachen vorstellbar, etwa in der „Vermischtes“-Spalte so mancher Zeitungen sind die verschränkten Hundstage-Episoden ohne weiteres.

Mit Einsvierzig, der Annäherung an den kleinwüchsigen Karl, ist Mitte des Monats dann Seidls erster Akademie-Kurzfilm aus dem Jahr 1980 zu sehen. Der damalige Filmstudent gab später an, er habe „einen behinderten Mann als individuelle Persönlichkeit zeigen“ wollen, „über die man lachen kann oder die man langweilig finden kann wie jeden anderen“. Kritiker sahen derweil einen „zynischen Sozialpornographen“ am Werk.

Zwei Jahre später enstand Der Ball, der zusammen mit Einsvierzig gezeigt wird. Darin widmet sich Seidl den Vorbereitungen auf den jährlichen Schulabschlussball in seinem Heimatort im ländlichen Niederösterreich. Der Ball, so ist überliefert, wurde beim Publikum ein Lachschlager, die Wiener Filmakademie indes war nicht amüsiert und zog sich als Produzentin zurück.

Symptomatisch für Seidls Karriereverlauf: So kam er zwar wiederholt mit dem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk ins Geschäft, aber etliche Koproduktionen wurden im Fernsehen nur umgeschnitten gezeigt – wenn überhaupt. Tierische Liebe etwa, Seidls vielleicht umstrittenste Beschäftigung mit dem ganz normalen Leben, genauer mit zwischenmenschlich durchweg vereinsamten Extrem-Tierliebenden, ist vom ORF nie ausgestrahlt worden.

Hinter den drastischen Bildern von Zungenküssen zwischen Hund und Herrchen, von ins Fell des Rasserüden gehauchten Liebesschwüren angejahrter Alleinstehender zeigt sich Seidls zentrales Anliegen: Er interessiert sich für diese Strauchelnden, und das eben ohne den immer wieder unterstellten Voyeurismus.

Je nachdem, wie sicher sich der Zuschauer der eigenen Erhabenheit über die auftretenden Randständigen ist, wie sehr er sich entfernt glaubt von den gezeigten Paralleluniversen, wird er nicht selten zum Lachen herausgefordert oder zum Angeekeltsein. Das liegt nur selten an Seidl, der Bilder liefert, die niemanden schrecken dürften, der mit dem heutigen Nachmittagsfernsehen einigermaßen vertraut ist – allenfalls langweilen, derart langatmig und dadurch quälend eindringlich sind sie.

Seien es solche, die der Einsamkeit durch ein überfrachtetes Verhältnis zum Haustier zu entkommen trachten, oder jene, die sich zu diesem Zweck eine Frau aus Asien kommen lassen (wie in Die letzten Männer): „Es geht nicht darum“, schrieb an anderer Stelle der Filmkritiker Georg Seeßlen, „Menschen und Verhältnisse zu entlarven. Es geht vielmehr darum, Menschen näher zu kommen, die sich selbst hinreichend enttarnt zu haben scheinen.“ Mehr als andere – insbesondere im ach so nüchternen Dokumentarfilm – lässt der Regisseur Ulrich Seidl die Verantwortung beim Zuschauer. Denn eine Moral hat er, trotz katholischer Erziehung, so recht keine anzubieten.

Alexander Diehl

„Hundstage“: Do + So, 20.30 Uhr, Sa, 22 Uhr; „Die letzten Männer“: Sa + 18.11., 20.30 Uhr, 20.11., 22 Uhr, 27.11., 23 Uhr; „Tierische Liebe“: 11. + 14.11., 20.30 Uhr, 13.11., 22 Uhr; „Einsvierzig“ und „Der Ball“: 13., 20. + 21.11., 20.30 Uhr; „Mit Verlust ist zu rechnen“: 25., 27. + 28.11., 20.30 Uhr