piwik no script img

■ AmtsgerichtEine echte Verführung

Der Richter sitzt behaglich auf seinem Stuhl. Aufgeräumt begrüßt er die Prozeßbeteiligten, als ginge es darum, sich mit ihnen zu einer netten Feier niederzulassen. Im Ton eines Zahnarztes, der einem Kind die Angst vor dem Bohrer nehmen will, erklärt er den beiden Zeugen, dem Nigerianer Henry A. und seiner von ihm getrennt lebenden sächsischen Frau Christiane, daß sie vor Gericht die Wahrheit sagen müssen.

Den angeklagten Ghanaer John S., der bis vor kurzem als Koch gearbeitet hat und nun Sozialhilfe bezieht, ermahnt er noch, den Kaugummi herauszunehmen – „aber nicht an den Stuhl schmieren!“ –, dann hat die Staatsanwältin das Wort.

In silbrig glänzendem, klobigem Schuhwerk der Jugend von heute verliest sie die Anklageschrift. John S. wird beschuldigt, Telefongespräche zwischen ihm und Frau A., mit der er ein außereheliches Verhältnis unterhielt, aufgezeichnet zu haben.

Er habe gedroht, ihrem Mann die Bänder vorzuspielen, falls Frau A., die für ihren Fehltritt „nach afrikanischem Recht“ Prügel zu erwarten hatte, ihm nicht innerhalb von vier Tagen 500 Mark zahlen würde. Da die Frau nicht auf die Forderung einging, habe S. im September vergangenen Jahres seine Drohung wahrgemacht.

Etwas unzusammenhängend erklärt der elegante John S. dem englischen Dolmetscher seine Sicht der Dinge. Christiane A. lüge. Nicht er habe Geld von ihr verlangt, sie habe es ihm angeboten, weil sie, entgegen ihrer Behauptung, noch immer mit ihrem Mann zusammenlebte. Die Kassette habe er Herrn A., mit dem er befreundet ist, vorgespielt, nachdem dieser ihm vorgeworfen hatte, mit seiner Frau Telefonsex zu treiben.

Das Band, auf dem ein in S.' Wohnung geführtes Gespräch zwischen Frau A. und ihrer Freundin festgehalten ist, beweise, daß es bei dem Techtelmechtel mitnichten um fernmündlichen Sex ging. Vielmehr habe die Frau S. dazu benutzen wollen, ihr zweites Kind, das dem Gatten zugesprochen worden war, zu entführen. Bedauerlicherweise, erklärt S.' Verteidiger, ist das Band unauffindbar.

Beim Stichwort „Telefonsex“ wiegt der Richter sein ergrauendes Haupt. Mit Blick auf die im Zuschauerraum sitzende vorpubertäre Schulklasse denkt er laut an frühere Zeiten, in denen der Gegenstand der Verhandlung überhaupt nicht jugendfrei gewesen wäre.

Aber nun habe er kürzlich nach jahrelanger Fernsehabstinenz zur besten Sendezeit einen „Polizeiruf 110“ mit Kurt Böwe, „einem der besten deutschen Schauspieler“, gesehen. Da habe sich sofort eine „etwas aufgetakelte Person“ gegen Bezahlung zwischen die Schenkel greifen lassen, die dafür wenige Minuten später im Fahrstuhl ermordet wurde. „Man sollte also danach nicht im Fahrstuhl fahren“, räsoniert der Richter weiter. „Aber daß der Böwe in so einem völligen Scheißstück mitspielt?“

Die Frage bleibt im Saal stehen. Kopfschüttelnd wendet sich der Richter wieder dem zweifelhaft jugendfreien Fall zu und bittet Christiane A. in den Zeugenstand. Die 22jährige erzählt, wie sie im vergangenen Sommer, als sie sich nach einer Trennung gerade wieder mit ihrem Mann versöhnen wollte, John S.' Charme zum Opfer fiel.

„Er hat mich zum Frühstück eingeladen, mit Sekt und Weintrauben, also, das war 'ne echte Verführung, auf deutsch gesagt.“ Und dann habe er sie ständig angerufen und gedrängt, wieder zu kommen. Als sie dieses Ansinnen abblockte, habe er mit den aufgezeichneten Telefonaten gedroht und das Geld gefordert.

Sie sei nicht darauf eingegangen, sondern habe ihrerseits begonnen, seine Anrufe aufzunehmen. Eines Abends habe Henry ihr dann ein Gespräch von Mann zu Mann vorgespielt. „Da hatte ich dann die Hölle auf Erden.“ Ja, es treffe zu, daß sie alles unternehme, um ihre zwei Jahre alte „Zweitgeborene“ wiederzubekommen, um mit beiden Kindern nach Westdeutschland zu ziehen; allerdings kann sie sich nicht erinnern, ob sie mit S. darüber gesprochen hat.

Jedenfalls habe sie ihn niemals gebeten, das Kind von Henry zu holen.

Der Verteidiger beantragt die Einstellung des Verfahrens. Die Staatsanwältin schüttelt verständnislos den Kopf, sie hält es für erwiesen, daß der Angeklagte Christiane A. mit den Kassetten unter Druck setzte, wobei es unerheblich sei, daß die Frau eventuell ihr Kind zurückholen wollte. Sie fordert drei Monate Knast auf Bewährung und 400 Mark Geldstrafe.

Frau A. schlägt freudig überrascht die Hände vors Gesicht und kichert mit ihrer Freundin. Der Verteidiger plädiert auf Freispruch, und der Richter geht lange mit sich ins Gericht. Wegen der Verletzung der Vertraulichkeit des Worts und versuchter Erpressung verurteilt er S. schließlich zu 100 Tagessätzen à 20 Mark.

Viel lieber, sagt er, hätte er den netten Herrn S. freigesprochen, wie er es ja schon mal getan hat – „auch in so einer Sache mit 'ner Dame. Dann hatten wir noch ein zweites Verfahren – wieder mit 'ner Dame –, da habe ich die Staatsanwältin überredet, das Kriegsbeil zu begraben. Und jetzt wollte ich ihm eigentlich ordentlich den Kopf waschen, aber so wie er hier sitzt, hat er schon was Unwiderstehliches, da konnte ich dann doch nicht so hart sein. Aber so schlimm, daß man ihn ins Gefängnis stecken muß, kann es nicht gewesen sein, denn Frau A. lacht ja am lautesten darüber.“ Anette Fink

wird fortgesetzt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen