Ampelsystem für Lebensmittel: Firmen tricksen mit Dickmachern
Rote, gelbe und grüne Punkte auf Verpackungen sollen Kunden in Großbritannien auf gesunde Inhalte aufmerksam machen. Doch das boykottieren Nestlé, Kelloggs und Cadburys.
DUBLIN taz Die Industrie boykottiert das Ampelsystem in Großbritannien. Es geht um neue Etiketten auf Lebensmitteln: Vor gut einem Jahr hat die staatliche "Agentur für Lebensmittelnormen" das denkbar einfache Kennzeichnungssystem eingeführt: Bei zu viel Fett gibt es einen roten Punkt. Fettarme Produkte erhalten dagegen einen grünen und alles dazwischen einen gelben Punkt. Dasselbe gilt für Zucker und Salz.
Anders als in Großbritannien gibt es die Ampel auf Lebensmitteln in Deutschland nicht. Verbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) hat erst am Montag wieder jegliche Art von verpflichtenden Nährwertangaben abgelehnt. Die Ampel sei "zu simpel", sagte Seehofer dem Münchner Merkur. Seine Meinung teilen aber immer weniger: Die Grünen und die Linke sind schon lange für die Ampelkennzeichnung. Vergangene Woche sprach sich dann auch die SPD-Fraktion für das britische System aus (taz berichtete). Und in den eigenen Reihen stößt Seehofers Ablehnungshaltung mittlerweile ebenso auf Kritik. Sein bayerischer Amtskollege Otmar Bernhard (CSU) warb erst letzten Donnerstag in der Passauer Neuen Presse für die Ampel. Kommende Woche berät nun der Bundestag über einen Antrag der Grünen zur Einführung der roten, gelben, grünen Kennzeichnung für Gesundes und Ungesundes.
Die Supermarktketten Sainsbury, Waitrose sowie Marks & Spencer haben das Ampelsystem zwar übernommen, doch eine mächtige Allianz aus 21 Großproduzenten boykottiert es. Darunter: Coca-Cola, Cadbury Schweppes, Nestlé, Kelloggs, Unilever, Kraft, Pepsi und Tesco. Diese Unternehmen haben ihr eigenes System entwickelt. Sie verraten in Minischrift auf den Packungen, wie viel Prozent der empfohlenen täglichen Höchstmenge an Fett, Zucker und Salz eine Portion des betreffenden Produkts enthält.
Damit lässt sich natürlich vortrefflich schummeln, denn die Größe einer Portion ist dem Ermessen der Unternehmen überlassen. Eine Firma berechnet den Salzgehalt ihrer Chicken Nuggets für eine Portion von 15 Gramm - das ist ein einziges Nugget. Und während ein Foto auf einer Käsepackung fünf Scheiben zeigt, gelten die Angaben für nur eine Scheibe.
Die Verwirrung ist wohl beabsichtigt. Denn das Ampelsystem der Behörde ist so simpel und einleuchtend, dass die Nahrungsmittelproduzenten Einbußen fürchten müssen: Natürlich werden Produkte mit vielen roten Punkten für den Kunden plötzlich sehr unattraktiv. Wer weiß bislang schon, dass Müsli- und Cornflakes-Produkte oft sehr viel Zucker enthalten. Die deutsche Verbraucherorganisation Foodwatch hat unlängst darauf aufmerksam gemacht, dass Cini Minis Vollkorn von Nestlé zum Beispiel zu einem Drittel aus Zucker und einem Zehntel aus Fett bestehen.
Der britischen Regierung missfällt die Geheimniskrämerei der Firmen. Sie erwägt jetzt, das Ampelsystem obligatorisch zu machen. Es spielt eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung der Fettleibigkeit unter Kindern. Die Regierung in London will dafür eine weltweit führende Strategie entwickeln. In Großbritannien müssen sich Schulkinder bereits regelmäßig wiegen lassen. Die Regierung hat eine Kampagne für gesundes Pausenbrot und für fünf Portionen Obst und Gemüse pro Tag initiiert. Und es gibt ein Werbeverbot für Junkfood. Trotzdem musste die Regierung ihr Ziel bereits korrigieren.
Wollte sie zunächst die Fettsucht bis zum Jahre 2010 bremsen, soll es nun erst 2020 weniger Pummelige geben. Dabei nehmen Kinder heute weniger Kalorien zu sich als noch vor 30 Jahren. Aber sie bewegen sich weniger. So ist die Fettleibigkeit bei Kindern bis elf Jahren in den vergangenen zwölf Jahren um 70 Prozent gestiegen.
Neben der Kennzeichnung von Fett, Salz und Zucker haben einige Unternehmen vorige Woche begonnen, auf ihren Waren zu vermerken, wie viel Kohlendioxid bei der Produktion entstanden ist. Bei einer Tüte Kartoffelchips der Marke Walker sind es zum Beispiel 75 Gramm. Dabei wiegt das Päckchen nicht mal die Hälfte. Die Messungen werden vom unabhängigen "Carbon Trust" überwacht.
So wird bei Chips alles von Düngemitteln für die Kartoffeln über den Herstellungs- und Verpackungsprozess bis hin zur Entsorgung der leeren Tüte einberechnet. Ein Sprecher des "Carbon Trust" argumentiert, dass die Kennzeichnung das Bewusstsein der Verbraucher schärft und Firmen schließlich gezwungen sind, ihre Produktion zu ändern.
Andererseits könnten Käufer demnächst verwirrt vor den Supermarktregalen stehen: Neben Ampel und Kohlendioxidmarke tragen viele Produkte auch noch Bio-Siegel oder die eines der sieben verschiedenen Label für fairen Handel.
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