Ampel abgelehnt: Künast kracht auf die grüne Basis
Die Grünen in NRW wollen von einer rot-gelb-grünen Koalitionsaussage nichts wissen - und drohen den Spitzen mit Meuterei. Ihre Wut hat einen Namen: Guido Westerwelle.
Nach ihrer Rede bekommt Renate Künast von der Landesvorsitzenden der nordrhein-westfälischen Grünen, Daniela Schneckenburger, einen Strauß überreicht. Gelbe und rote Blumen leuchten über den grünen Blättern. "Ich bin sicher, gemeinsam machen wir einen starken Bundestagswahlkampf", ruft Schneckenburger noch, doch da hat die grüne Spitzenkandidatin Künast schon den Sinn der Zwischenrufe aus den ersten Reihen des Saals erfasst. Der Strauß ist rotgelbgrün. Ein Ampelstrauß, quasi. Auch das noch. "Das sind die Farben, die die Natur vorgesehen hat", versucht Künast sich mit einem Witz zu retten. Doch auch dieser geht fehl.
Denn wenn die Natur eines nicht vorgesehen hat, dann ist es eine Koalition aus SPD, FDP und Grünen nach der Bundestagswahl. Noch viel weniger wollen die nordrhein-westfälischen Grünen in einen Wahlkampf ziehen, der schon frühzeitig unter das Motto "und am Ende machen wirs mit Guido Westerwelle" gestellt wurde. Nichts anderes haben die beiden Spitzenkandidaten Renate Künast und Jürgen Trittin Anfang des Monats versucht: Ein Ampelbündnis sei eben die einzig realistische Option für eine grüne Machtbeteiligung nach dem 27. September, und darum solle der Bundesparteitag im Mai dies auch in einer "Wahlaussage" so benennen und bekennen.
Die Landesverbände tobten, allen voran der mitgliederstärkste: NRW. Am Wochenende ließ gleich ein ganzes Dutzend von Delegierten auf dem Landesparteitag in der Hagener Stadthalle dem Ärger freien Lauf. "Wir haben so gut wie keine Schnittmengen mit der FDP - auch bei den Bürgerrechten nicht", sagte der Landtagsabgeordnete Horst Becker. "Unsere Wahlaussage kann nur unser Programm sein."
Die Gelsenkirchenerin Irene Mihalic sagte, Künast und Trittin hätten die Partei nicht beteiligt, als sie beschlossen, auf Ampel zu machen. "Das tat verdammt weh." Der Mülheimer Jürgen Pastowski forderte verblüffenderweise ausgerechnet von Künast und Trittin "ein bisschen mehr Selbstbewusstsein". Doch was er meinte, war: "Es gibt keine Notwendigkeit, hinter der FDP herzuscharwenzeln." Damit biete man nur der Linkspartei eine Steilvorlage. Katja Dörner erklärte, sie sehe nicht, wie sie mit der Ampel vor Augen glaubwürdig für den Bundestag kandidieren solle, weil und solange ihr Gegenkandidat von der FDP in Bonn Guido Westerwelle heiße. Und überhaupt ist niemand ein größerer Feind der NRW-Grünen als der FDP-Innenminister Ingo Wolf.
"Ihr Lieben", fasste der Landesvorsitzende Arndt Klocke zusammen und wandte sich an Renate Künast, die zwischen den nordrhein-westfälischen Abgeordneten Platz genommen hatte. "Es gibt keinen Konsens zur Haltung zur Ampelkoalition. Ihr haltet fest an der Wahlaussage. Der NRW-Landesverband sieht das komplett anders." Eine Wahlaussage "muss keine Koalitionsaussage sein", meinte Klocke. Sein Landesverband werde sich "offenhalten", sich auch im Mai querzulegen. Das war eine für Klockes Verhältnisse, einem Realo der jüngeren, verbindlicheren Post-Joschka-Generation, unverhüllte Drohung. Auf dem Bundesparteitag wird fast jede vierte Stimme von NRW gestellt. Auch die Schleswig-Holsteiner und große Teile anderer Landesverbände drohen mit Meuterei.
Zwar hieß es in Hagen, Trittin habe mit einem gelungenen Auftritt in der Landtagsfraktion am Mittwoch zuvor gepunktet. Auch schickte das Spitzenkandidatenduo vorm Hagener Parteitag einen Besänftigungsbrief in die grüne Runde, in dem das Wort "selbstkritisch" vorkam sowie der Vorschlag, Regionalforen bei der Wahlaussage mitreden zu lassen. Doch machte Renate Künast in Hagen nicht den Eindruck, als wolle sie sich auf Befindlichkeiten zwischen Rhein und Teutoburger Wald einlassen. Sie schnodderte die in Metaphern gehaltenen Gesprächsangebote des Briefes herunter: Man müsse die "Debatte vom Kopf auf die Füße stellen", den grünen Zug "aufs richtige Gleis" zurückholen. Es müsse doch darum gehen: "Wie schaffen wir es, den grünen neuen Gesellschaftsvertrag zur gesellschaftlichen Debatte zu machen?", holte Künast aus - und wurde unterbrochen. "Mit der FDP", gellte ein Zwischenruf.
Im Saal nahmen Delegierte Wetten entgegen, ob in der Wahlaussage im Mai das Wort "Ampel" auftauchen würde oder nicht. Von einem "Fehlstart in den Vorwahlkampf" sprach später der Gelsenkirchener Robert Zion. "Es ist eine Katastrophe", sagte ein Delegierter. "Ab jetzt wird alles nur noch darum gehen, wie stark Jürgen und Renate am Ende beschädigt sind."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Pro und Contra
US-Präsident Biden hat seinen Sohn begnadigt – richtig so?
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld